Und wenn Dichter zu viele Verwandte haben, irgendwie scheint da ein Zusammenhang zu bestehen. Dabei muß das doch gar nicht sein, ich habe z.B. das Kapitel über Death Metal in meinem Norwegenbuch (Abb. links) von einem hochbegabten Neffen schreiben lassen, und er hat pünktlich und vortrefflich geliefert. Aber meine Dichter … nehmen wir Ewald Adler (alle Namen von der Redaktion geändert), der eine Geschichte für ein Buch zum Thema Rache schreiben wollte. Er sagte gleich zu Anfang, er habe auch eine Übersetzerin zur Hand, und die sollte seine Geschichte übersetzen. Die Zeit verging, alle Rachegeschichten waren da, nur leider, nicht die von Ewald Adler. Ach, sagte er, als er gemahnt wurde. Es werde noch einen Moment dauern. Die Geschichte sollte nämlich von seiner Schwiegermutter übersetzt werden, die aber seit vierzig Jahren nicht mehr in Deutschland gewesen war und also nicht so schnell übersetzen konnte. Wieder vergingen einige Wochen. Ewald Adler wurde abermals gemahnt, her mit der Geschichte, das Buch soll in Druck. Nein, es dauerte noch etwas, die Schwiegermutter zweifelte inzwischen an ihren Fähigkeiten und ein Vetter, der in Deutschland studiert hatte, sollte alles noch mal durchsehen. Nächster Versuch: „Lieber Ewald Adler, bestimmt hast du auch noch eine Kusine dritten Grades oder einen Großneffen, aber wir brauchen die Geschichte, und wenn sie bis zum 1. Februar nicht eingetroffen ist, geht das Buch ohne sie in Satz.“ 3. Februar: „Lieber Ewald Adler, Buch ist in Satz.“ 21. Februar, Mail von Ewald Adler. Ob wir denn gar kein Verständnis für die Nöte seiner Schwiegermutter hätten? So ein paar Monate Verspätung könnten doch kein Problem sein.
Zwei Jahre später sah ich die Geschichte in einem anderen Buch, ich habe nicht verstanden, wovon sie handelte, nur, daß es nicht um Rache ging, ich weiß aber bis heute nicht, ob das an der Schwiegermutter lag oder an Ewald Adler. Oder dem Vetter.
Ein anderer Fall ist Hans Kirch, der eine Weihnachtsgeschichte schreiben wollte. Hans Kirchs Schwiegergroßmutter ist nämlich eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen, und da dachte ich, bestimmt schreibt der Enkel himmlische Weihnachtsgeschichten. Er wollte auch gern, wurde im März gefragt, ob er das bis zum 1.10. schaffen könnte. „Klar, kein Problem“, sagte Hans Kirch, „erinner mich im Juli noch mal.“ Ich erinnerte, war ganz gelassen. 10. Oktober: Oh, total vergessen, die Geschichte sollte bis zum 1. November kommen. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, alle zwei Wochen fragte ich nach der Weihnachtsgeschichte, alle zwei Wochen bat der Schwiegerenkel um einen neuen Termin, immer drei Tage nach diesem Termin fragte ich wieder an, immer versprach Hans Kirch die Lieferung zum nächsten unbedingt letzten Abgabedatum. Er hatte auch immer schöne Entschuldigungen: Hund krank, Computer abgestürzt, zwei Nichten zu Besuch. Doch als ich erschöpft am 3. Februar anfragte, wie es aussehe, und jetzt sei wirklich kein Aufschub mehr möglich, gestand er, noch keine Zeile geschrieben und auch keine Idee für die Handlung seiner Geschichte zu haben. Das war schade, ich hätte gern einen Schwiegerenkel im Buch gehabt, ich habe auch versprochen, ihn beim nächsten Projekt wieder zu fragen. Und das neue Projekt muß her, unser Mailwechsel fehlt mir wirklich, allein schon wegen seiner schönen Entschuldigungen!
Das sind nur zwei Beispiele, aber ich könnte noch mindestens zwei Dutzend hinzufügen, und immer, immer waren irgendwelche Verwandten mit im Spiel. Sind die Autoren mit Verwandtschaft besonders schusselig, wollen sie unbedingt die Verwandtschaft mitbeteiligen? Ich bin ratlos. Ich sollte vielleicht in Zukunft nur noch mit Autoren ohne Verwandtschaft zusammenarbeiten. Aber ob es viele schreibende Findelkinder gibt? Und dann gar so viele, daß ich mit ihren Texten ein Buch füllen könnte?
Aber das gilt ja nun mal nicht für alle, wie gesagt, mein Neffe hat gute Arbeit geleistet und pünktlich geliefert. Wenn ich nur wüßte, welche Lehre ich aus allem ziehen soll …
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig