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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 27: Ich habe eine Klassikerin übersetzt

Magdalene Thoresen – Gemälde im Besitz des Norsk Folkemuseum in Oslo (MalerIn unbekannt)

Ich habe eine Klassikerin übersetzt: Magdalene Thoresen

Magdalene Thoresen – eine literaturhistorische Biografie von Jorunn Hareide, Aschehoug 2012

Karoline Adler (Hrsg.), Urlaubslesebuch 2020, dtv

Erst mal nur eine Geschichte, aber das ist auch schon gut, nachdem ich seit Jahrzehnten auf eine solche Möglichkeit gewartet habe. Kürzlich habe ich diese wunderbare Autorin hier schon erwähnt, im Zusammenhang mit den Überlegungen zum Übersetzen, die vor 120 Jahren ihr damaliger deutscher Verleger angestellt hat. Heute aber geht es um die Autorin selbst. Die zuletzt, glaube ich, auf Deutsch urkundlich erwähnt wurde in dem Buch „Liebe Sophie, liebe Valborg“. Dort schreibt Selma Lagerlöf, dass sie später einmal einen Roman schreiben will, wie die „alte Frau Thoresen“, und den wird sie „Eros“ nennen. Große Freude über diesen Fund, die Freude aber verschwindet sofort wieder. Denn in dem wunderbar gestalteten Band der Briefe, die Selma Lagerlöf an ihre Lebensgefährtinnen schrieb, sind wirklich alle erwähnten Personen erklärt, nur Magdalene Thoresen nicht. Typisch, oder was? Und kommt sie in Literaturgeschichten vor, steht immer als erstes „Ibsens Schwiegermutter“, als sei das ihr eigentliches Verdienst gewesen. Aber sie war eine der ersten Romanschriftstellerinnen in Norwegen und Vorbild für die nächste Generation von Autorinnen, auch aus den Nachbarländern, wie z.B. für die Schwedin Selma Lagerlöf.

Magdalene Krag wurde 1819 im dänischen Fredericia geboren, damals Garnisonsstadt, also voller junger Männer, und offenbar fehlte es ihr nie an Verehrern. Es gibt kaum Fotos aus jüngeren Jahren, dafür enthusiastische Beschreibungen ihrer glühenden Augen und ihrer schier südländischen Schönheit (ein seltenes Mal werden auch ihre Intelligenz und ihre größtenteils selbsterworbene Bildung erwähnt). Als sie schwanger wurde, machte der Klatsch in Fredericia zwei Männer als mögliche Väter aus, den damaligen dänischen Kronprinzen Frederik und den isländischen Studenten Grimur Thomsen (Verfasser der inoffiziellen isländischen Nationalhymne „Á Sprengisandi“). Aber offenbar wollte keiner es gewesen sein, und deshalb antwortete sie auf die Annonce eines norwegischen Geistlichen, der dringend eine Haushälterin brauchte.

Der Probst Hans Conrad Thoresen (1802–1858) hatte soeben Gattin Nr. 2 im Kindbett verloren und saß mit fünf Kindern unter 10 Jahren da. Wenn sich also eine Frau dieser Kinderschar annahm, war es egal, ob ihr Ruf nicht mehr blütenrein war, und auf ein Kind mehr oder weniger kam es auch nicht an. Grimur Thomsen kümmerte sich dann später doch um seinen Sohn und sorgte für dessen Fortkommen in der Welt (anders als Ibsen, der für seinen unehelichen Sohn nur so lange zahlte, wie das Gesetz es befahl, und danach jeglichen Kontakt zu dem Knaben verweigerte. Das hat nichts mit Magdalene Thoresen zu tun, aber man soll ja keine Gelegenheit auslassen, schlecht über Ibsen zu sprechen). Magdalene Thoresen hat sich später immer positiv über ihren viel älteren Gatten geäußert, er hat sie zum Schreiben ermuntert und sie mit allem, was im damaligen Norwegen an Literatur und Kunst interessiert war, in Kontakt gebracht. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, dann starb der schon länger kränkelnde Mann. Und er hatte zwar im norwegischen Geistesleben eine große Rolle gespielt, doch ein Vermögen hatte er nicht angehäuft, und die Witwenpension reichte vorn und hinten nicht, angesichts der großen Kinderschar. Denn Magdalene Thoresen fühlte sich auch für die Kinder aus den früheren Ehen verantwortlich und musste also für alle Geld verdienen.

Weshalb sie nun energisch aufs Schreiben setzte, wobei ihr Leben neben dem Schreiben auch eine Menge Romanstoff bildet. Die Verehrer gaben sich nun abermals die Klinke in die Hand, und zu ihren Liebhabern gehörten der Staranwalt Bernward Dunker, von Zeitgenossen beschrieben als „zweibeinige Boa“, (auf Fotos sieht er enttäuschend menschlich aus, wenn auch reichlich mager) und Bjørnstjerne Bjørnson, späterer Literaturnobelpreisträger und Verfasser der norwegischen Nationalhymne „Ja vi elsker dette landet“ (sie hatte offenbar einen Hang zu Nationalhymnendichtern). Ihre Stieftochter Suzannah dagegen verheiratete sich mit Bjørnsons Erzrivalen Henrik Ibsen, der sich übrigens hemmungslos an den Werken seiner Schwiegermutter bediente – die berühmte Schlussszene aus „Ein Puppenheim“, z.B. wo Nora türenknallend den Gatten verlässt, ist aus einer Erzählung von ihr. Außerdem ist sie das Vorbild für die Ellida in Ibsens Drama „Die Frau vom Meer“. Trotzdem oder deshalb äußerte er gern Kritik an ihrem Werk, z.B. dass sie als gebürtige Dänin gar kein richtiges Norwegisch könne (was witzig ist, da Dänisch zu jener Zeit noch Amtssprache in Norwegen war und Ibsen fast reines Dänisch schrieb), und dass ihre Werke zu sehr denen des Hausfreundes Bjørnson ähnelten und nicht den unsterblichen des Schwiegersohns. Sie schrieb Theaterstücke, denen aber kein besonderer Erfolg beschieden war, und vielgelesene Romane, Erzählungen und Gedichte, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Für die nächste Generation von Autorinnen war sie ein Vorbild: eine Frau, die sich und ihre Familie vom Schreiben ernährt und sich nicht unbedingt an die bürgerlichen Moralvorstellungen hält! Die Geschichte im „Urlaubslesebuch“ bei dtv hat allerdings auf den ersten Blick nichts Aufrührerisches, es geht um Liebende, die sich trotz aller Klassenschranken doch noch kriegen – ach wie schön, denken wir ergriffen beim ersten Lesen, aber beim zweiten wird deutlich, wie geschickt die Heldin das Happy End in die Wege leitet, denn die Kunst der Andeutung war die Stärke dieser wunderbaren Autorin – es sei denn, die Verhältnisse werden unerträglich und die Romanperson muss sich eben doch mit Türenknallen aus einer unhaltbaren Situation befreien.

Grabstein von Magdalene Thoresen (1819-1903) in Kopenhagen

In späteren Jahren zog Magdalene Thoresen wieder nach Dänemark, nicht aus Heimweh, sondern, weil es in Norwegen noch kaum Verlage gab, und weil widerborstige Autorinnen in Norwegen doch nicht so gern gesehen waren. Sie war nicht die Erste, die diesen Weg ging, und noch längst nicht die letzte. Sie starb 1903 in Kopenhagen und ist dort auf dem Assistens-Friedhof begraben.

Literatur dazu: Urlaubslesebuch 2020, hrsg. von Karoline Adler, dtv

und: Selma Lagerlöf: Liebe Sophie. Liebe Valborg, deutsch von Lotta Rüegger und Holger Wolandt, Urachhaus, 2016

 

Ein Beitrag von Gabriele Haefs zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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