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Aus dem Übersetzerinnenleben, 3: Anna Munch neu übersetzt

Anna Munch (Privatsammlung Gustav Borgen)
Anna Munch (Foto: Sammlung Gustav Borgen)

Wenn im Text Ungereimtheiten auftreten – der Kölner Dom steht auf dem falschen Rheinufer, der Held setzt sich auf einen Stuhl und fällt gleich darauf vom Sofa – dann, wir wissen es schon, können wir das Lektorat verfluchen und ansonsten die Autorin fragen. Aber was, wenn das nicht geht, weil wir die wunderbare und ehrenvolle Aufgabe haben, eine echte Klassikerin zu übersetzen?

In meinem Fall heißt die Klassikerin Anna Munch und ist seit fast 80 Jahren tot. Bekannter als Anna ist in Deutschland ihr Vetter Edvard, der als Maler zu Ruhm gelangte, uns hier aber nicht weiter interessiert. Anna kam aus einer alten Osloer Beamtenfamilie, heiratete, wie sich das gehörte, den ihr von den Eltern ausgesuchten Gatten, wurde furchtbar unglücklich, verließ ihn, wurde aus der guten Gesellschaft ausgestoßen und fing an zu schreiben. Wieviel Autobiographisches in ihrem Roman „Frauen“ steckt, ist unklar. Die junge Heldin aus gutem Bürgerhause verliebt sich in einen Maler, der erzählt ihr was von Emanzipation und freier Liebe, doch als sie schwanger wird, fühlt er sich nicht weiter zuständig, sie sind ja freie Menschen. Anders als Anna, die keine Ausbildung machen durfte, weil, so ihr Vater, das weibliche Gehirn für intellektuelle Tätigkeiten nicht geschaffen sei (und andere Tätigkeiten verboten sich für diese Gesellschaftsklasse), hat die Romanperson Bergljot ein Lehrerinnenexamen, und so findet sie einen Ausweg für sich und ihr Kind.

So weit, so schön. Dass die Lektorate auch zu Anna Munchs Zeiten schon rumgeschlampt haben, ist irgendwie ernüchternd, aber das Wissen hilft nichts. Die eine Frau im Buch trägt ein gelbes Kleid, das später grün ist, der Omnibus fährt durch die falsche Straße und der Maler trinkt so wild durcheinander, daß nicht einmal ein vom Suff gestählter Bohémien es überleben könnte. Was trinkt er nun wirklich? Und wer ist der Lokalpolitiker, auf den angespielt wird und den damals offenbar alle kannten? Da muß sogar der befragte Osloer Lokalhistoriker, der sich auf jene Zeit spezialisiert hat, passen. Und die Autorin kann ich ja nicht mehr fragen. Doch, hurra! 1890 wurde das Buch schon einmal übersetzt. Damals war Anna Munch gerade mal 34, und ÜbersetzerIn M. Graßhoff hat doch sicher Kontakt zu ihr aufgenommen und diese Dinge geklärt? Es ließ sich dann sogar ein Exemplar auftreiben, und glücklich und gespannt schlug ich es auf. Mit verblüffendem Ergebnis. M. Graßhoff hatte offenbar keinen Kontakt zu Anna Munch, und feige war M. Graßhoff auch noch. Immer dann, wenn es unklar wird, fehlt in der alten deutschen Ausgabe ganz einfach eine Stelle oder ein Satz.

In der neuen Übersetzung sind sie dabei. Von mir nach bestem Wissen und Gewissen geraten. Welche Stellen das sind, sag ich aber nicht. Lest selbst und seht, ob ihr sie findet!

Anna Munch: Frauen – 2015 in der Edition Narrenflug erschienen, ist seit Ende 2018 nur noch antiquarisch oder bei Amazon erhältlich, weil die Edition Narrenflug eingestellt wurde.

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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