Es ist so leicht, als Sprachgenie durchzugehen … es reicht schon, vier, fünf Sprachen lesen und darin vielleicht auch noch die Dolchstoßlegende erklären zu können, schon kann eine mit Bewunderung rechnen. Die Bewundernden aber haben keine Ahnung, welche Sprachen man alle nicht gelernt hat. Wer sich entschließt, eine Sprache zu erlernen, sollte sich gut überlegen, welche, sagt der schottische Autor Compton Mackenzie, der in den meisten Fällen recht hat. Doch als meine Freundin Annette Bräker meinte, wir könnten doch Indonesisch lernen, überlegte ich nicht, sondern fand die Idee gut. Indonesisch, wieso nicht, wir waren jung und brauchten die Sprachen, oder so. Und in Amsterdam Indonesisch essen gingen wir auch gern.
Indonesisch wurde unterrichtet von einem Herrn namens Ranadipoera, der durch seine imposanten Zahnlücken brillierte. „Oh“, sagte Annette vor den Semesterferien. „Ich bin ja so gespannt, wie viele Zähne Rana nach den Ferien noch hat.“ Ich konnte das nicht so positiv sehen, sondern fühlte mich dem Indonesischen nicht gewachsen. Keine richtigen Zeiten, ein wildes Gewusel von Vorsilben – kaki heißt Bein, merkaki heißt, „Beine haben“, berkaki „Beine benutzen“, also „gehen“, (oder vielleicht war’s auch umgekehrt), für „ich“ gibt es jede Menge verschiedener Wörter, je nachdem, ob ich mit Höherstehenden, Untergebenen oder meinesgleichen rede. Mata heißt Auge und Hari heißt Tag und Mata Hari heißt „Auge des Tages“, das leuchtet noch ein, aber danach versagte ich unwiderruflich und nicht einmal Ranas Zahnlückenshow konnte mich trösten, und wenn ich schon wieder diese verdammten Vorsilben durcheinander warf, ging Annette mit mir aufs Uniklo und fütterte mich zum Wiederaufbau mit Pfefferminzbonbons.
Kurzum, ich habe nie Indonesisch gelernt. Annette wohl. Sie hatte noch dazu Vergleichende Religionswissenschaften und Völkerkunde studiert, reiste dauernd nach Bali und Java und wußte einfach alles über so aufregende Dinge wie Gamelan-Orchester und Wajang-Puppen. Und jeder Brief und jede Karte von ihren Reisen war ein neues Fest. Viele Jahre lang. Nebenbei hat Annette – unter Pseudonym – zwei Krimis geschrieben, in der sie mit ethnologisch geschultem Blick die Eingeborenen der Stadt Neuss und ihre schändlichen Rituale schilderte. Und ich wartete gespannt auf ihren Balikrimi.
Aber jetzt? Jetzt, 2015 ist Indonesien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Hätte ich Herrn Ranadipoera nur besser zugehört und brav gelernt, ich könnte mich jetzt in Aufträgen suhlen und aller Welt erzählen, welche wichtigen indonesischen Autorinnen nicht übersetzt worden sind und was das für eine blödsinnige Auswahl ist. Annette hätte das alles gewusst. Aber meine Freundin Annette ist am 20. April 2015 gestorben. Ihr Lebensgefährte Horst H. Geerken hat ein Buch zu ihrer Erinnerung gemacht, es enthält sein Tagebuch über Annettes letzte Wochen im Hospiz, viele Fotos, und einen langen Reisebericht von Annette von ihrer letzten Reise nach Bali, 2014. 2015 ist Indonesien Buchmessenland. Und wenn jemand ganz schnell und mit viel Freude ein bißchen Wissen zumindest über Bali erwerben möchte, dann lest Annettes kleines Buch Erinnerung an Annette. Es kommen auch indonesische Wörter darin vor!
Foto ohne Copyright: Mata Hari um 1910
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig
Lachen und Traurigsein schließen sich nicht aus. So wie immer und überall eigentlich alles nebeneinander wohnt. Das ist ziemlich selten, daß jemand das so schön in einen Text packen kann wie hier Gabriele Haefs, die es schafft, diese Freundschaftsgeschichte komisch UND ergreifend zu malen.
Freundinnen! Tief empfundene Freundschaft bleibt lebendig. So stellen sich für mich diese Erinnerungen dar. Wie schön … und berührend.
Ein wunderschöner Nachruf für Annette. Tausend Dank!