Mein erstes Buch: ein Lyrikband, ich war keine neunzehn, mein damaliger Freund brachte mich zu einem kleinen Verlag, der Geld verlangte. Gleich vorweg: sowas nicht nachmachen, davon ist dringend abzuraten! Der Autor verkauft sein wertvolles Manuskript sowie die Rechte daran an einen Verlag und erhält eine wertvolle Gegengabe in Form von Drucklegung, Veröffentlichung, Vermarktung, Prozente an Verkauf und Lizenzen, manchmal gibt’s Vorschüsse. Geschrieben hab ich immer.
Als Kind Bildergeschichten: Pferde mit Sprechblasen. Hernach ein Fortsetzungsroman (Schiff geht unter, Protagonistin ein weiblicher Robinson Crusoe). Fortsetzungsroman deshalb, weil ich jeden Tag nach den Schularbeiten schrieb. Also jeden Tag eine Fortsetzung.
Dann wurde ich erweckt: Ich stieß auf Celan und die Bachmann und sie redeten mit mir. Diese toten DichterInnen verstanden und erkannten mich (die einzigen Menschen weit und breit). Es gab mich also. Wenn es diese Lyrik gab, dann gab es mich auch. Mein Allerinnerstes war nicht mehr allein. Und ich schrieb Gedichte (die oben erwähnten) wie Funkbotschaften.
Und schrieb und schrieb. Daß das jemand drucken würde? Daß man von sowas leben könnte? Erstmal Gleichgesinnte finden: noch mehr so Heimlichschreiber. Wie machen die das denn? Inzwischen war ich Studentin.
Mein erstes „echtes“ Buch: „Ein Flamingo, eine Wüste“, prosapoetische Sprachcollage, Suhrkamp Verlag. Gleich oben im Olymp. Ach ja? Das Manuskript landete zuerst und für lange in der Schublade: Versteht eh keiner (dachte die Autorin). Ist sowas von abseitig, in Inhalt und Form. Wer soll das denn lesen. Brachte es irgendwann dann doch in die Schreibgruppe. Alle fandens toll. Die Autorin machte Augen. Schick es nach Frankfurt, Literaturbüro, sagte Sabine. Da würde ich Rat bekommen. Lange blieb es aber still von dort. Bis ein Schriftsteller (ich sag jetzt nicht, wers war) bei mir anrief und ausrief, ich solle das sofort zu Suhrkamp schicken. Der hatte es gelesen, verdiente sich Geld mit dem Abfassen von Gutachten.
Auch ein gutes Thema: Schriftsteller und Geld. Als Schriftsteller übt man nahezu immerfort den mehrfachen Spagat: zwischen Armut, Überleben, Zeit und Arbeit (also Schreiben). Wer glaubt, die Muse küßt und schon hat man seinen ersten Roman verfaßt, glaubt wohl an den Weihnachtsmann. Schreiben ist Arbeit, verdammte harte zeitintensive wunderbare trostlose herrliche frustrierende verrückte Arbeit, das kapieren nur die, die dasselbe tun.
Jetzt wird das Ganze hier schon zu lang für einen Blogbeitrag. Ein Roman über die Entstehung und Verbreitung von literarischen Texten. Mein zweites Buch ging leichter, zugleich komplizierter. Das berühmt-berüchtigte zweite Buch: die Unschuld ist weg, jetzt wird’s Ernst, jetzt sitzen einem schon die Kritikerstimmen im Nacken, auf der Brust, am Kugelschreiber, der Erfolg soll gefälligst getoppt werden, der Mißerfolg säbelt bereits in den Startlöchern, ein Stipendium half über innere und äußere Notlagen. („säbelt“ „in den Startlöchern“: ein Fall fürs Lektorat.)
Ein drittes Manuskript wurde abgeschmettert. Die Autorin ab sofort zerschmettert im Straßengraben. Erhebt sich mühsam zu Einladungen, Wettbewerben, Kulturbetriebsevents. Leckt ihre Wunden, schreibt neue Lyrik und Kurzprosa, zwei andere Verlage drucken, die Kontakte entstehen im Betrieb, irgendwie geht’s weiter, Geld muß verdient werden, die Autorin, mittlerweile auch Gesangspädagogin, gibt Stunden. (Hat, p.s., aktuell noch Stunden frei! Immer gerne!) (Ist, p.s., auf dem Spielbein Malerin, stellt aus und Auftragsarbeiten her! Immer gerne!)
Neue Schreibgruppen. Leute, die damals noch niemand kannte, heute les ich ihre Namen und staune. Wir schlugen uns die Texte um die Ohren. Zwei von ihnen meinten es gut mit mir: wir sperren dich ein, wenn du nicht weiterschreibst! Das war das Glück: eingesperrt verdonnert sein zum Schreiben! Ja, das genau wollte ich, nichts anderes!
Also der erste „echte“ Roman. Eine große Medienagentur (zu jener Zeit noch was ganz neues im Betrieb) nahm mein Manuskript unter ihre Fittiche und holte bei dtv einen für meine Verhältnisse ordentlichen Vorschuß heraus. Ich recherchierte für dieses Buch wie eine Wahnsinnige. Berge von Papier, Zeitschriften, Bücher, Briefwechsel, tagelange Telefonate; ein für Beckmesserei bekannter Rezensent lobte: er habe keinen einzigen Tatsachen-Fehler entdecken können. Ich schrieb wie im Strudel. An jedem Finger eine Romanfigur, mußte wie eine Puppenspielerin die Fäden stets konzentriert jonglieren, wobei die Figuren erbittert das taten, was ihnen gefiel und durchaus nicht meinem Plan entsprach. Ich ging mit ihnen einkaufen, essen, aufs Klo, schlafen; morgens als erstes den PC hochfahren und gucken, ob mein Baby noch lebt und es mit Worten füttern. Eines Tages plötzlich ging nichts mehr: ich ließ die Hände sinken. Diese Geschichte geht nicht weiter. Sie kann nicht zu Ende verfaßt werden. Mitten drin hört sie auf. Ich heulte.
Und betete: lieber Gott, jetzt mach doch du, ich weiß nichts mehr, hier ist die Welt zuende!
Heulte weiter und meine Finger bewegten sich über die Tastatur und ich war entsetzt: So also geht die Geschichte weiter? So??? Das ist ja… Kann man das… Darf man das… Ich triumphierte: Das ist es!! Später stand gar der Spiegel auf der Matte, machte Fotos und ein Interview. In der FAZ ein Verriß: 1956 hätte doch jede Frau gewußt, wie Kinder gemacht werden und auf die Welt kommen, was ich da für einen Schwachsinn verbreiten würde. Sehr verehrte Damen und Herren, ich habe es aus allererster Hand: 1956 gab es tatsächlich noch Frauen, die genau das nicht wußten!
Umgang mit Kritik, vor allem unfairer, falsch aussagender und unter die Gürtellinie zielender Kritik: Auch so ein Thema. Wäre ein extra Blog-Beitrag.
Der nächste Roman. Ganz anders. Anderer Schreibvorgang, andere Recherche-Arbeit, alles völlig verschieden vom ersten. Wie das so ist mit den Kindern. Neben dem prosapoetischen Erstling mein schönster. Der dritte Roman: abgeschmettert. Immer lag das Manuskript irgendwo rum, immer sagte irgendwer von irgendeinem Verlag: oh ja, das ist interessant. Aber wir können uns nicht entscheiden. Wir entscheiden uns also dagegen. Das Ding liegt immer noch bei mir auf Halde. Hat zwei Überarbeitungen mitgemacht. Wird eine dritte erdulden müssen. Zu der ich im Moment weder Zeit noch Kraft noch Lust habe. Die Autorin wird älter. Das Geld wird knapper. Das Schicksal spielt übel mit. Stoff für nächste Romane. Romane? Die Autorin mag keine Romane mehr schreiben. Die Autorin sticht nämlich der Hafer. Was sie da grade vorsichtig in Arbeit hat, ist natürlich geheim.
Und dann die lange lange Sendepause nach der letzten Ablehnung. Daumen nach unten. Kleinere Veröffentlichungen, immer mal wieder, in durchaus renommierten und interessanten Literatur-Zeitschriften. Mehr aber gibts nicht. 60 Gedichte liegen bereit. Die Autorin verschickt. Halbherzig. Müde. Freundliche Rückmeldungen. Aber leider. Dichtung… Rien ne va plus. Die Autorin versinkt in Depression und Resignation. Keine Förderungen mehr. Der Jugendwahn auch im Literaturbetrieb. Das wars jetzt. Soll sie sich noch Autorin nennen? Schrifststellerin? Dichterin? Ja, sicher. Aber davon dringt nichts mehr durch die Wand hinaus in die Leserwelt. Die Türen bleiben zu. Der Betrieb hat sich geändert, er mauert. Vieles funktioniert anders als vor 25 Jahren. So lange mache ich das schon mit! Meine grauen Haare färbe ich jetzt heller.
Und nun eine neuerliche Wende: Im Herbst 2015 endlich wird es veröffentlicht, mein Lyrikmanuskript! Darf ichs schon verraten? Horlemann, Lyrikpapyri. Sehr gute, sehr schöne Adresse. Vertrag ist unterschrieben. Das Internet und ein paar Kontakt-Drehungen haben es ermöglicht, dennoch ganz überraschend. Man soll die Flinte nie ins Korn schmeißen. Meine Flinte ist rostig und rosig und ich schmeiße damit nach Stechmücken. Ansonsten geht’s noch gut, danke.
Literaturport, Autorenseite mit allen Veröffentlichungen und mit Hörproben von Bianca Döring
Poetenladen, Seite von Bianca Döring mit Gedichten
Homepage von Bianca Döring
Wikipedia-Eintrag
Text und Bild: Bianca Döring
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“. Evelyn Kuttig
Liebe Bianca, liebe Evy,
ein spannender Artikel, vielen Dank. Und Suhrkamp schon, klasse! Dranbleiben, ja, das ist es wohl vor allem. Und Inspiration suchen/finden. Bei mir ist es gerade mal wieder „Der Mann schläft“ – das Hörbuch. Beim Hören fallen mir neue Sätze ein… Viel Erfolg mit dem Lyrikband für Dich!!
Danke, Bianca! Deine bewegende Geschichte aus dem Literaturbetrieb ist mit Humor, Schmerz und Freude geschrieben. Die Raupe wird zum Schmetterling, bekommt über die Jahre zerrupfte Flügel … und macht „bildschön“ weiter. – Was uns alles entgeht, wenn solch eine reife Begabung wie Deine, nicht einträglich ausgelebt werden kann, sondern einfach versenkt wird. Zum Glück nun wieder entdeckt!
Ich mag Deine Werke sehr, schon die Titel machten mich neugierig:
Ein Flamingo, eine Wüste / Schnee und Niemand // beide bei Suhrkamp
Hallo Mr. Zebra / Little Alien // beide bei dtv
Recht hast Du: „Umgang mit Kritik, vor allem unfairer, falsch aussagender und unter die Gürtellinie zielender Kritik: Auch so ein Thema. Wäre ein extra Blog-Beitrag.“ Ich schau mich noch um.