Der Bürokratismus, der mich zweieinhalb Jahre nach der Vergabe eines einmaligen, auf vier Tage beschränkten Minijobs für die Auszugsrenovierung aus dem Büro ins Homeoffice ereilte, ist Thema dieses Blogbeitrags. Ich wurde im Februar 2018 von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund Berlin mit der Ankündigung einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) überrascht und belehrt, dass solch eine Prüfung der Arbeitgeber von Minijobbern seit 2010 zur Routine der Deutschen Rentenversicherung im Auftrag der gesetzlichen Unfallversicherung gehört. Der Betriebsprüfdienst* ist eine gesetzliche Aufgabe der Deutschen Rentenversicherung, der sie alle vier Jahre (!) nachzukommen hat.
*Dieser Link zum Betriebsprüfdienst – https://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Navigation/3_Infos_fuer_Experten/02_ArbeitgeberUndSteuerberater/01_betriebspruefdienst/betriebspruefdienst_index_node. html – ist nach der Meldung von fehlerhaften Links seit Dezember 2022 nicht mehr erreichbar. Also hier entlang bitte – RVaktuell 4/21: Der Prüfdienst in Zeiten der Corona-Pandemie
Zu gerne wüsste ich, wieviele einzelkämpferisch arbeitende FreiberuflerInnen davon betroffen sind!
Oktober 2015 bis April 2016: die Minijob-Abwicklung
Für die Renovierung des gekündigten Büros engagierte ich einen älteren Maler, der wegen seiner Rente gerne als Minijobber angemeldet werden wollte. Ich entsprach seinem Wunsch, holte mir wegen der Sozialversicherung eine Betriebsnummer bei der Bundesagentur für Arbeit, meldete seine Tätigkeit bei der Minijob-Zentrale (die vermutlich im September 2022 ihre Website modifiziert hat) und der Berufsgenossenschaft wegen der Unfallversicherung unter der alten Anschrift an, gab nach dem Umzug allen involvierten Behörden meine neue Anschrift bekannt, machte Meldung über die Beendigung des Jobs an die Minijob-Zentrale und bei der Berufsgenossenschaft. Gleichzeitig hatte ich beschlossen, meine freiwillige Mitgliedschaft bei der Berufsgenossenschaft zu kündigen.
Der Maler arbeitete vom 27. bis 30. Oktober 21,5 Stunden und erhielt 300 €, also deutlich mehr als den damals gültigen Mindestlohn von 8,50 €/Stunde. Zusätzlich wurden von der Minijob-Zentrale eine Umlage für Mutterschutz sowie eine Insolvenzumlage von insgesamt 1,35 € erhoben.
Für dieses Procedere benötigte ich beinahe 14 Tage, worüber ich schon auf dem Blog in zwei Beiträgen im November und Dezember 2015 berichtete. Die Berufsgenossenschaft verlangte erst im April 2016 einen Beitrag für die Unfallversicherung in Höhe von 48,04 € und wegen meiner zeitgleichen Kündigung im Oktober 2015 wie immer rückwirkend den letzten freiwilligen Jahresbeitrag für 2015.
Februar und November 2018: die Betriebsprüfung
Abweichend vom oben zitierten Betriebsprüfdienst hieß es im ersten Anschreiben von der DRV Bund Berlin im Februar 2018 – schon zweieinhalb Jahre nach der Minijob-Abmeldung – „nach § 28p Abs. 1 SGB IV in Verbindung mit den Vorschriften der Beitragsverfahrensordnung (BVV) sind die Rentenversicherungsträger verpflichtet, mindestens alle 4 Jahre bei den Arbeitgebern zu prüfen, ob diese ihre Pflichten nach diesem Gesetz erfüllen …
Die Prüfverpflichtung betrifft auch Arbeitgeber, die ausschließlich geringfügig Beschäftigte haben.
Seit dem Jahr 2010 prüfen die Rentenversicherungsträger im Auftrag der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 166 Abs. 2 SGB VII in Verbindung mit § 28p Abs. 1b SGB IVfür Zeiten ab dem 01.01.2009 die Beiträge zur Unfallversicherung.“
Mir wurde aus Berlin eine Betriebsprüfung für 2019 avisiert, doch schon im November 2018, also 3 Jahre nach der Minijob-Vergabe wurde diese von der DRV Bund Bremen (zuständig für Niedersachsen) folgendermaßen eingeleitet:
„Wir prüfen insbesondere folgende Bereiche:
• die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen zur Sozialversicherung einschließlich eines ausreichenden Insolvenzschutzes bei Wertguthabenvereinbarungen, der Umlagen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz sowie der Insovenzgeldumlage für die Zeit vom 01.01.2015 bis 31.12.2018
• die Abgaben und Meldepflichten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.12.2018“
Unkompliziert konnte ich zwar per Mail und Telefonaten klären, was einzureichen ist, eine Fristverlängerung bewirken, doch ansonsten haben die Mitarbeiterinnen der Deutschen Rentenversicherung meine Schilderungen und Fragen zum Procedere rund um einen Minijob nicht verstanden (oder nicht verstehen wollen) und sind den Antworten ausgewichen. Im Dezember übersandte ich
a) das Formular „Betriebsrüfung SGB IV“ mit 7 Belegen aus 2015 und
b) das Formular „Abgabepflicht KSVG“ mit Tabelle und 1 Beleg aus 2014 (es handelte sich um die sehr günstige Anfertigung der Porträts von mir für meine Website).
Ich erwähnte im Begleitschreiben zu den Formularen: „Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bestätigen könnten, dass die Überprüfung dieser beiden einmaligen Vorkommnisse abschließend ist und ich hinsichtlich dieses für beide Seiten überdimensionierten Aufwands von weiteren Prüfungen entbunden bin.“
Im Februar erhielt ich 2 Bescheide von der DRV Bund Berlin mit Bezug auf die Bremer Erhebung, doch in keinem wurde auf meinen Einwand oder Wunsch eingegangen:
zu a) zur Betriebsprüfung, Prüfzeitraum vom 27.10.2015 bis 30.10.2015:
„… die von uns in Stichproben durchgeführte Prüfung führte im gesamten Prüfzeitraum zu keinen Feststelllungen hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrages.“
zu b) zur Künstlersozialabgabe, Prüfzeitraum vom 01.01.2014 bis 31.12.2015:
„… die stichprobenweise durchgeführte Prüfung hat folgende Feststellungen ergeben: Es besteht für Sie im Prüfzeitraum keine Abgabenpflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetzt (GSVG).“
Fazit: Überreglementierung – Bürokratismus
Definition nach Gabler Wirtschaftslexikon: „Übersteigerung der Bürokratie, die zum Selbstzweck wird und ihre interne Organisation gegenüber den eigentlichen Zielen und Zwecken in den Vordergrund stellt.“
Nachgeschlagene Synonyme: Pedanterie, Engstirnigkeit, Formalismus, Beamtenherrschaft, Wasserkopf.
Ich stelle den Sinn von Betriebsprüfungen (Abgaben-Prüfungen) keinesfalls in Frage, doch sollten sie dem Grund nach angemessen sein und zudem nicht unbegründet endlos fortgesetzt werden können. Wie uneindeutig zu lesen ist, drohen sie mir nun „alle vier Jahre“ oder „mindestens alle 4 Jahre“! Damit wird nur Zeit, Kraft … und Geld verschwendet, auch auf Seiten der Beitragszahler. Wie schon erwähnt: Zu gerne wüsste ich, wieviele einzelkämpferisch arbeitende FreiberuflerInnen davon betroffen sind!
Jedenfalls scheint es so, als wäre es für mich betriebswirtschaftlich und regenerierend sinnvoller gewesen, einen Malerei-Fachbetrieb zu beauftragen, der zwar mehr gekostet hätte, allerdings gravierend weniger meiner Zeit mit überbordenden bürokratischen Akten beansprucht hätte, so dass ich mich deutlich weniger verausgabt hätte.
Der Zufall wollte es, dass nahezu zeitgleich der Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. (VGSD) in einem Newsletter auf die Berliner Werner Bonhoff Stiftung aufmerksam machte, die eine Fallsammlung offeriert und zudem „wehrhafte Selbstständige“ mit einem erheblichen Preisgeld auszeichnet: „Die Werner-Bonhoff-Stiftung möchte Selbstständige ermutigen, bürokratische Hürden nicht einfach stumm hinzunehmen, sondern sich zu wehren und so auch für andere eine Verbesserung zu erreichen oder zumindest nachhaltig auf einen Verbesserungsbedarf hinzuweisen.“
In der Pressemitteilung der Werner Bonhoff Stiftung vom 13.12.2018 wird u.a. Sinn und Zweck der Stiftung beschrieben:
„Die Gewinner des Werner-Bonhoff-Preises bereichern mit ihren Praxisfällen in besonderem Maße das Herzstück des Stiftungsprojektes ,Bürokratie-Therapie‘: die einzigartige Online-Fallsammlung. Diese bietet mit ihren 200 Fällen wertvolles Lehr- und Anschauungsmaterial für Betroffene, aber auch für die Verwaltung …
Im Mitmachprojekt ,Bürokratie-Therapie‘ teilen Selbständige, Gründer und Unternehmer ihre Probleme mit staatlicher Bürokratie mit der Werner Bonhoff Stiftung, indem sie uns ihre Erfahrungen schildern. Unser Stiftungsteam prüft diese Berichte, wertet sie juristisch aus und bereitet sie als Fälle für unsere Online-Fallsammlung fachgerecht auf. Mit dieser stellen wir eine unabhängige Plattform zur Verfügung, die konkrete Kritik verstärkt und für alle sichtbar macht. Lernprozesse werden so ,von unten‘ angestoßen, der unternehmerische Nachwuchs vor entsprechenden Hürden gewarnt und Verwaltungen und Gesetzgeber zu besseren Leistungen angespornt. Herausragende Fälle würdigt sie seit 2006 mit dem ‚Werner-Bonhoff-Preis-wider-den-§§-Dschungel‘, der mit 50.000 € dotiert ist.
Durch ihre konstruktive Kritik am Handeln von unterschiedlichen Behörden zeigen sie notwendige Verbesserungen auf, welche für eine Vielzahl von anderen Betroffenen bedeutsam ist.“
Dem bin ich nachgekommen und habe diesen Vorgang wie gewünscht in wenigen Sätzen auf der Website der Werner Bonhoff Stiftung geschildert.
Wo liegt der Fehler?
Ich möchte immer noch wissen, wo der Fehler liegt, dass diese Endlosschleife bestehen bleibt. Habe ich irgendeine Abmeldung versäumt? Kann ich als nur mutmaßliche Arbeitgeberin diesen Dauerzustand kündigen? Deshalb recherchierte ich, fand aber keine Antwort … Ich gestehe, dass ich die „feinen“ Unterschiede wohl bemerke, aber anwendungsmäßig nicht verstehe, und weiterführend sind sie allemal nicht …
Minijob-Zentrale: „Kurzfristige Minijobs sind von vornherein auf bestimmte Zeitgrenzen festgelegt – auf den Verdienst Ihres Minijobbers kommt es nicht an.“ – Das war es in meinem Fall, oder?
Haufe: „Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn diese an nicht mehr als 70 Arbeitstagen oder drei Monaten (90 Kalendertage) innerhalb eines Kalenderjahres ausgeübt wird. Eine kurzfristige Beschäftigung ist in allen Sozialversicherungszweigen versicherungsfrei.“ – Das war es dann wohl nicht, oder?
AOK: „Die Unständigkeit einer Beschäftigung bezieht sich nicht auf ein bestimmtes Berufsbild, sondern auf die tatsächliche Kurzzeitigkeit der jeweiligen Beschäftigung und die daraus erwachsenden Statusunterbrechungen (BSG, 27.04.2016 – B 12 KR 17/14 R).
Die Beschränkung auf weniger als eine Woche bezieht sich nicht auf eine Kalenderwoche, sondern auf eine Beschäftigungswoche …
Es handelt sich also um Personen, die Beschäftigungen von sehr kurzer Dauer verrichten und die daher kein festes Arbeitsverhältnis haben und mal hier, mal dort mit wechselnden Arbeiten beschäftigt sind (BSG, 27.04.2016 – B 12 KR 16/14 R).“
Haufe: „Unständige Beschäftigungen sind Arbeitsverrichtungen/-einsätze von sehr kurzer Dauer, die jeweils getrennt voneinander vereinbart werden. Diese unterscheiden sich voneinander vom Inhalt und Zweck und erschöpfen sich nach ihrer jeweiligen Erfüllung, ohne auf einander folgende Tätigkeiten abzuzielen oder diese zur Folge zu haben. Das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und unständig Beschäftigtem entsteht also von unständiger Beschäftigung zu unständiger Beschäftigung immer wieder neu.“ – Tut es auch ein einmaliger Vertrag wie in meinem Fall?
ebd.: „Eine geringfügige Beschäftigung kann auf zwei Arten gegeben sein: Beträgt das Entgelt nicht mehr als 450 Euro/Monat, gilt eine Beschäftigung als geringfügig entlohnt (sog. Minijob). Ist die Beschäftigung von vornherein vertraglich oder nach ihrer Art und Weise auf nicht mehr als drei Monate oder 70 Arbeitstage innerhalb eines Kalenderjahres begrenzt, handelt es sich um eine kurzfristige Beschäftigung.“ – Entspricht einem Minijob, aber keinem kurzfristigen.
Die „Bürokratie-Therapie“ der Werner Bonhoff Stiftung ist überzeugend, und ich werde sie weiterhin praktizieren. Ich freue mich, wenn mein Beitrag in dieser Hinsicht etwas bei LeserInnen an Widerfahrenem in Erinnerung rufen und Reaktion auslösen würde.
Aktualisierung: 18. Dezember 2022
Liebe Evelyn, du beschreibst hier den normalen Bürokratie-Wahnsinn. Die Regeln sind so kompliziert, dass man immer wieder eine „bricht“ bzw. es für den einzelnen extreme Nachteile hat. Kein Wunder, dass Minijobs von Selbständigen an Selbständige kaum vergeben werden. Dabei würden gerade Selbstständige diese Unterstützung gut gebrauchen können.
Wunderbar, dass du nicht locker gelassen hast und für dich eine gute Klärung finden konntest. Dies gibt Hoffnung.