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Der Verlag STROUX edition und sein Programm-Schwerpunkt „Erinnerung“ – von Annette Stroux

Wir sind ein Verlag mit einem klaren Programm-Fokus – wobei ich bei diesem Stichwort Programm-Fokus gleich mal weiter ausholen muss, denn der Fokus hat etwas mit meiner familiären Geschichte zu tun und meinem lebenslangen Nachdenken über die riesige Spannbreite des Themas „Erinnerung“. Erinnern ist gleichzeitig ein schöpferischer Akt der sehr individuellen Faktenfindung, ein Versuch, Geschehnisse festzuhalten und zu erklären, eine Möglichkeit, Verabredungen mit sich selbst zu treffen, eine Möglichkeit der Kommunikation mit sich selbst.

Als ich vor sieben Jahren den Verlag STROUX edition gründete, schwebte mir dieser besondere Programm-Schwerpunkt vor, der das Interesse an direkten Zugängen zu historischen Momenten und gesellschaftlicher Situationen zum Mittelpunkt machen sollte. Alle Bücher in diesem Programm sollten qualitativ möglichst gut geschrieben sein und dennoch ihre eigenständige Schreib- und Erzählqualität finden, so war die Vision.

Wir – das war zunächst ein kleines Team aus mir, meinem Partner Matthias Mielitz als Art Direktor sowie Dr. Jürgen Kleindiek als Lektor – entwarfen dafür einen literaturwissenschaftlich vielleicht nicht korrekten, aber gut lesbaren Begriff: „Biographische Belletristik“. Wir wollen uns in verschiedenen Genres bewegen können, und das über die Grenzen Deutschlands hinaus. Sehr schnell entwickelte sich aus dem kleinen Kernteam ein größerer Kreis von mehr oder weniger freien Mitarbeiter*innen, die uns Anregungen gaben, Kontakte auch ins europäische Umland knüpften oder einfach nur projektbezogen mitarbeiteten.

2017 konnten wir das erste kleine Jahresprogramm umsetzen. Drei Bücher, die in der Rückschau gesehen unseren Rahmen schon recht gut abstecken. Wir begannen mit einem Schreib-Ratgeber der deutsch-norwegischen Journalistin Jutta Martha Beiner „Schreiben und sich neu erfinden – Ein Ratgeber zum selbstbiographischen Schreiben“, gefolgt von einem hochspannenden biographischen Roman der Münchner Autorin Helga Hutterer über ihre Verwicklungen in den Algerienkrieg – die gewalttätige Loslösung des Landes von der Kolonialmacht Frankreich (und gleichzeitig die schmerzhafte Emanzipation der jungen Frau aus einer erdrückenden Beziehung). Das Buch war so passend, weil es Ereignisse aus dem Bürgerkrieg in der algerischen Stadt Oran erzählte, später in Algier – und eine sehr persönliche Lebenserzählung damit verknüpfte.

Schließlich brachten wir noch den ersten Teil der autobiographischen Familienerzählung des Isländischen Autors Mikael Torfason in der Übersetzung von Tina Flekken heraus: „Lost in Paradise – Islands arme Könige … ein amerikanischer Himmel … und ich, Torfis zweiter Sohn“. In diesem ganz eigenständigen Buch begeisterte uns, wie Mikael seine Familiengeschichte mit zum Teil drastischen Erzählungen über Islands ehemals krasse soziale Ungleichheit verknüpft, die mangelnde Teilhabe der Armen, ihre fehlenden Bildungschancen – und die Auswege in Alkoholismus, religiösen Verirrungen, aber auch in die Welt der Literatur und des Theaters.

Wir starteten unsere Verlagsreise in einem imaginären Raum zwischen Deutschland, Frankreich, Algerien, Norwegen und Island – und dabei spielte sicherlich eine große Rolle, dass wir alle im Team eine Verbundenheit zum Theater haben und die Internationalität dieser Szene sich auch in unserem Verlagsprogramm widerspiegelt.

Bis heute bietet uns die „Biographische Belletristik“ einen guten Rahmen; gelegentlich erlauben wir uns Überschreitungen, wenn uns das Thema oder die Schreibenden besonders interessieren. Schließlich dürfen wir Themen und Autor*innen „wagen“ – wir sind ja ein unabhängiger Verlag.

Deshalb freut es mich umso mehr, dass Gabriele Haefs über das Netzwerk der Bücherfrauen zu mir Kontakt aufnahm – und wir gemeinsam mit ihr die norwegischen Autorin Toril Brekke Roman „Ein rostiger Klang von Freiheit“ herausbringen konnten. Der Roman ist nicht autofiktional, aber Toril gelingt es mit ihrer Erzählkunst dennoch, uns mit ihrer Protagonistin Agathe an den Oslofjord mitzunehmen, zu Jugendlichen, die Ende der Sechziger den Aufbruch und den Ausbruch wagen.

Wohin wird uns unsere Reise als Verlag führen?

Verlags-Stand auf der Alternativveranstaltung zur Leipziger Buchmesse 2022 im Felsenkeller Leipzig – Foto © Pauline Stroux
Verlegerin Annette Stroux – Foto © Pauline Stroux

Nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine bewegen uns die Grundlagen und Folgen von Kriegsereignissen und Bürgerkriegen, denn sie sind in unsere europäische Textur unauslöschlich eingewebt. Aber es soll nicht unser beherrschendes Thema sein und bleiben. Die Arbeit am Programm bleibt uns immer noch ein wichtiges und auch schönes Anliegen – und auch wir sind immer noch verblüfft über die phantastischen und vielfältigen Ergebnisse von „Erinnerung“.

Aktuelles zum Verlagsprogramm ist hier einzusehen.

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig

 


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Evelyn Kuttig

Evelyn Kuttig

Ich arbeite(te) als Grafikdesignerin, Projektmanagerin, Rechercheurin, Redakteurin und Texterin. – Das Blog enthält Berichte aus meinem Arbeitsalltag und Gastbeiträge aus vielfältigen Arbeitsfeldern, die zur Entstehung von Büchern beitragen. – Auch im Ruhestand stehe ich Interessierten mit meinen vielseitigen Kenntnissen und Erfahrungen und psychologischem Gespür immer noch gerne mit Rat und Tat und Empfehlungen zur Seite.

2 Gedanken zu „Der Verlag STROUX edition und sein Programm-Schwerpunkt „Erinnerung“ – von Annette Stroux“

  1. Kofahl-Langmack, Heidrun

    Glückwunsch an Annette Stroux und ihr Team! Das Konzept zum Thema Erinnerungen ist genial und war für mich der Einstieg in eine lang gehegte Idee, meine eigenen Erinnerungen schriftlich festzuhalten. Inzwischen sind die Erfahrungen beim Schreiben, die Begegnungen mit mir selbst, von ganz eigenem Wert.
    Heidi Kofahl-L.

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