Nur wenige Tage nach dem Tod des norwegischen Schriftstellers Ari Behn am 25. Dezember 2019 meldeten sich die ersten Leichenfledderer zu Wort, „Kollegen“, die über ihren angeblich guten Freund Ari ein Buch schreiben wollten, nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern um ihn so zu zeigen, „wie er wirklich war“. Das erste Buch ist erschienen und genauso oberflächlich und peinlich, wie es zu erwarten war. Der norwegische Autor Ingvar Ambjørnsen lässt seine Romanfigur Elling über den plötzlichen Boom an Ari-Büchern reflektieren.
Kürzlich hat einer von Ari Behns alten Freunden ein Buch über diesen beliebten Autor veröffentlicht. Kaum war dieses Buch auf dem Markt, als auch schon ein anderer alter Freund von Behn das Wort ergriff. Diesem Freund zufolge war der Verfasser besagten Buches durchaus kein guter Freund von Ari Behn. Sondern eher ein Feind. So einer, der früher einmal ein peripherer Freund gewesen war, der sich aber durch Wort und Tat in eine Person verwandelt hatte, mit der Ari Behn nichts mehr zu tun haben wollte. Das Ganze soll im Theatercafé passiert sein. Wir Außenstehenden wissen nicht so recht, was damals geschehen ist. Was wir jedoch mit Sicherheit wissen, ist, dass nun auch ein dritter Freund des Autors ein Buch in Arbeit hat. Dieser Freund war zweifellos ein enger Freund von Behn, auch wenn allgemein bekannt ist, dass die beiden etliche Jahre lang zerstritten waren. Aber am Ende waren sie dann wieder Freunde. Genau das ist überzeugend bewiesen. Nun hat sich in der Presse noch ein vierter Freund gemeldet. Dieser Freund wird als „enger Telefonfreund“ beschrieben. Auch er plant eine Buchveröffentlichung. Angeblich hat er zusammen mit Ari Behn dreizehn Kurztexte erarbeitet und glaubt, dass es Behn eine Herzensangelegenheit war, diese Texte, gewandet in einen Einband, an die Öffentlichkeit zu bringen.
Nun gut. Sei’s drum. Ich habe nicht vor, mich hier einzumischen. Das käme mir nicht richtig vor. Ich bin ein Außenstehender. Ich war nie ein enger Freund von Ari Behn. Nicht einmal ein peripherer Bekannter. Was nun aber nicht heißen soll, dass ich mir nicht vorstellen könnte, ein kleines Buch über ihn zu schreiben. Ja, in aller Bescheidenheit kann ich verraten, dass ich damit schon ziemlich weit bin. Folgendes Geschehnis trug sich nämlich an einem bitterkalten Januartag des Jahres 2009 zu:
Ich stehe auf der Rolltreppe im Kaufhaus Glassmagasinet auf dem Weg vom ersten in den zweiten Stock. Es ist, wie gesagt, ein bitterkalter Wintertag. Außerdem habe ich gerade eine persönliche Katastrophe erlebt, auf die ich hier jedoch nicht eingehen will. Es reicht sicher zu sagen, dass ich eher melancholisch gestimmt bin. Das Leben erlaubt sich geschmacklose Scherze. Vermutlich habe ich im Kaufhaus Zuflucht gesucht, um mich aufzuwärmen, und vielleicht auch, um mich für ein oder zwei Stunden mit schönen Gegenständen zu umgeben. Das kann helfen. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Und nun sehe ich ihn. Ari Behn. Er steht auf der anderen Treppe und ist also auf dem Weg hinab in die erste Etage. Nur wir zwei, jeder auf seiner Treppe. Ich auf dem Weg nach oben. Er auf dem Weg nach unten. Und just in dem Augenblick, in dem wir aneinander vorbeifahren, glaube ich, auf seinen Lippen ein zaghaftes Lächeln zu ahnen. Ich fahre herum, da ich davon ausgehe, dass hinter mir die Person steht, der dieses Lächeln gilt. Aber nein. Hinter mir befindet sich nur eine riesige Reklame für Porzellan aus Porsgrunn. Kein Mensch. Zweifellos war das Lächeln also für den Unterzeichneten bestimmt. Der Schriftsteller und Maler Ari Behn hatte mich angelächelt. Ein warmes, inkludierendes Lächeln. Als ob er wortlos signalisierte: Wir zwei könnten einander einiges zu sagen haben. Du und ich hätten unter anderen Umständen enge Freunde werden können. Keine Telefonfreunde, sondern wirkliche Freunde. Und davon soll das kleine Buch handeln, an dem ich nun arbeite. Von Fast-Freundschaft. Dieser Freundschaft, zu der es nie gekommen ist, die aber dennoch mit einem wärmenden Lächeln besiegelt wurde, an einem Tag, an dem ich das ganz besonders brauchte. Ein Lächeln, in dem ich in den folgenden Jahren Trost fand, wenn mir das Leben wieder ein Bein stellte. Und weil ich so überrascht von diesem Lächeln war, das Ari Behn mir so großzügig geschenkt hatte, habe ich das Gefühl, ihm diesen Text schuldig zu ein. Er hätte es nicht tun müssen und tat es trotzdem. Er lächelte einen Fremden an. Und damit habe ich nun auch den Titel. „Ein Lächeln für einen Fremden.“ Und ganz zum Schluss: Es kostet so wenig. Fast gar nichts.
Ein Beitrag von Ingvar Ambjørnsen zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig