Die Bestsellerautorin heißt Margit Sandemo und hat über vierzig Millionen Romane verkauft. Ihr Hauptwerk ist die „Saga vom Eisvolk“, und in Norwegen und einigen anderen Ländern waren die Bücher ein solcher Erfolg, dass sich Fanvereine gründeten, die sich trafen, um Szenen aus den Büchern nachzuspielen. Alle, die mitmachten, suchten sich eine Person aus dem riesigen Romanuniversum aus und stellten die nun dar, mit Begeisterung und immer wieder. Kurzum, eine Erfolgsgeschichte, wie es nur wenige gibt. Und wo sich der Erfolg einstellt, ist der Neid auch nicht weit. Als Norwegens erfolgreichste Schriftstellerin dem norwegischen Schriftstellerverband beitreten wollte, wurde ihr Antrag zurückgewiesen, was sie schreibe, sei ja nur Unterhaltungsliteratur. Das mit der Unterhaltungsliteratur wurde ihr oft vorgeworfen, schlimmer noch, angeblich wurden ihre Bücher vor allem von Frauen gelesen! Es wurde nie offen gesagt, was man daraus schließen sollte, aber so oft, wie diese Bemerkung fiel, muss sie doch Beweiskraft besessen haben, jedenfalls für viele Kommentatoren.
Zwei echte Erlebnisse der Chronistin:
Island, in einer Ecke im Restaurant sitzt eine Frau und liest einen „Eisvolk“-Band in isländischer Übersetzung. „Seht mal“, sage ich ergriffen zu meinen Begleitern. „Die liest Sandemo auf Isländisch.“ Der eine Begleiter, seines Zeichens Buchhändler, sagt, er finde Sandemo ja überschätzt, und was Unterhaltungsliteratur angehe, so sei Willy Ustad zweifellos der bessere Stilist. „Du spinnst“, sage ich, „der doch nicht“, und verbreite mich über Ustads Pappfiguren und sein gruseliges Frauenbild. Der Buchhändler fällt aus allen Wolken: „Hast du denn beide gelesen?“ Natürlich hatte ich. Er aber nicht, weder Sandemo noch Ustad, aber dass Ustad besser schrieb, stand für ihn fest. Eine Begründung konnte ich ihm nicht entlocken (aber frau denkt sich ja ihr Teil).
Deutschland, ein Journalist ruft an, will eine kurze Auskunft und erzählt, dass er gerade in Norwegen war, auf einer Pressereise, und alle Eingeladenen sollen nun etwas Schönes über Norwegen schreiben. Als ich erwähne, dass ich am nächsten Tag nach Norwegen reisen werde, um Margit Sandemo zu treffen, prustet er los. Denn er hatte einen norwegischen Kollegen gefragt, wer denn diese Sandemo sei, von deren Büchern in allen Buchläden hohe Stapel lägen. Und der Kollege hatte geantwortet: „Sei froh, dass ihr in Deutschland diesen Schund nicht kennt.“ Der Kollege hatte allerdings auch nichts von ihr gelesen …
Leider sind ihre Bücher in Deutschland wirklich nicht bekannt – einige gibt es in deutscher Übersetzung, und die wenigen Leute, die sie gelesen haben, waren hin und weg. Aber der ganze Versuch, Margit Sandemo in Deutschland zu etablieren, endete kläglich. Was nicht an den Büchern lag, sondern daran, dass der norwegische Verlag beschloss, das schöne Geld keinem deutschen Verlag zu überlassen, sondern die deutschen Ausgaben selbst zu produzieren und zu vermarkten. Nur ist Norwegen nicht in der EU, es gab eine Menge Steuer- und Zollprobleme, worauf eine dänische Zwischenfirma gegründet wurde. Was die eigentlich den ganzen Tag gemacht hat, hat niemand je erfahren, jedenfalls klagten die Buchläden, die den ersten Band gut verkauft hatten, weil nie Nachschub kam, und irgendwann gaben dann alle auf. Das alles fällt mir jetzt ein, da Margit Sandemo in diesem Jahr (am 23. April, am gleichen Tag wie Laxness und Shakespeare hatte sie Geburtstag, es muss der Tag der Genies sein!) hundert geworden wäre (leider hat sie es nur auf 94 gebracht).
Und nun geschehen wundersame Dinge, zuerst erfahre ich daraus aus den norwegischen Fernsehnachrichten! Eine Autorin namens Hilde Susan Jaegtnes hat einen neuen Eisvolkband geschrieben. Der hat den schönen Titel „Der Sohn der Sonne“, setzt achtzig Jahre vor dem bisherigen allerersten Band ein und ist, das sagen die ersten Rezensionen, „absolut gute Unterhaltung“ und „gelungener Hausfrauenporno“. Margit Sandemos Sohn und Nachlassverwalter, der seine Zustimmung dafür geben musste, dass die Personen seiner Mutter verwendet werden, äußert sich begeistert, „als wär’s ein Stück von ihr“. Ich kann es kaum erwarten, das Buch zu lesen, und jetzt, jetzt muss endlich ein deutscher Verlag gefunden werden, der, wenn schon nicht die alten Bände, dann doch die neuen Abenteuer des Eisvolks hier unter die lesenden Leute bringt!
Mein Lieblingszitat aus ihrem reichen Werk: „Manchmal muss man einfach spazieren gehen und über Intrigen nachdenken.“
Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig