Ich war gerade erst in den Ferien, und da habe ich viel Zeit damit verbracht, am Strand von Sejerø herumzuwandern und über das Leben nachzudenken und darüber, diese Gedanken auf irgendeine Weise zu verwenden.
In diesem Jahr waren es anstrengende Ferien. Aber ist das nicht genau das, was ein Erholungsurlaub ist, meinen jetzt sicher viele. Vielleicht, aber ich will frei haben, auch von Gedanken und Gefühlen. Und vom Schreiben. Doch je mehr ich wanderte und nachdachte, umso größer wurde mein Bedürfnis, meine Gedanken und den Schreibprozess überhaupt zu teilen.
Ich sollte sicher erzählen, dass Sejerø eine sehr kleine Insel im Kattegat ist, wo rein gar nichts passiert. Es gibt absolut keinerlei Ablenkung. Kein Kino, kein Theater, nicht einmal einen Laden zum Shoppen – abgesehen davon, dass an jedem zweiten Samstag der Second-Hand-Laden der Insel zwei Stunden gehöffnet hat. In diesem Jahr habe ich an einem Regentag endlich die kleine Galerie/das Museum der Insel besucht (nachdem ich seit elf Jahren dorthin gefahren bin), aber nach zwei Stunden war ich wieder mir selbst überlassen. Doch es gibt natürlich noch den Kaufmann, dessen Laden Post, Bank, Apotheke, Baumarkt, Tankstelle und ganz allgemein der Ort ist, den man aufsucht, wenn man zu rastlos wird. Und dann gibt es die Natur. Und die Mahlzeiten. Und die Ruhe. Und nach Ruhe sehnen sich doch so viele von uns, aber wir hindern uns selbst dauernd daran, zur Ruhe zu kommen, denn die Unruhe stellt sich ein, sobald die Ruhe eingekehrt ist.
Wir wissen sehr wohl, dass das Gold in der Ruhe und in der darauf folgenden Unruhe vergraben ist. Dass wir dort in uns selbst ankommen und alles fühlen, was wir nicht unbedingt fühlen wollen, das uns aber erzählt, wer wir sind.
Das ist unser Kern. Und aus diesem Kern heraus haben wir die Möglichkeit, uns auszudrücken: Gedanken und Gefühle in kreatives Handeln umzusetzen.
Die Gedanken zu irgendetwas zu verwenden. Unter anderem, das ist bei mir so, zum Schreiben.
Nachzufühlen, dem, was ich fühle, im Körper Platz zu geben und loszulassen. Es aus dem Körper kommen zu lassen, aus den Gedanken, aus den Gefühlen, es verwandelt aus den Fingern fließen zu lassen. Es noch einmal zu lesen, nachzufühlen, ob ich es wirklich gefühlt habe, ob es übereinstimmt, wagen, an das zu glauben, was ich lese und spüre. Wagen, es stehenzulassen. Die Ruhe zur Unruhe werden zu lassen und umgekehrt. Und dann teilen.
Im Garten beim Sommerhaus hatten wir eine Amsel. Zuerst hielt ich sie für ein Junges, sie sah so jämmerlich aus. Sie kam immer wieder, wir wohnten also in ihrem Revier. Vielleicht war sie jung, aber nicht deshalb hatte sie eine nackte Brust. Ich glaube, sie hatte sich aus den Krallen einer Katze retten können. Denn einem Fuchs wäre sie niemals entkommen, falls es auf der Insel überhaupt Füchse gäbe. Es gibt aber keine. Aber es gibt Rehe. Viele. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ein Einhorn gesehen. Ein Reh mit nur einem Horn.
Darüber habe ich mit einem erfahrenen Jäger gesprochen. Er erzählte, dass junge Böcke zwei Rosenstöcke haben (das ist ein Fachausdruck, und auf dem Bild unten sind sie zu sehen), die sehr dicht nebeneinander auf der Stirn sitzen, und er meinte, „mein“ Einhorn habe aller Wahrscheinlichkeit nur einen einzigen Rosenkranz entwickelt, bei der die eine Stange aufgesetzt ist, also ein Gehörn entwickelt hat, ein Geweih. In diesem Jahr jedenfalls. Deshalb sieht es aus wie ein Einhorn … ohne eins zu sein.
Hmmm, und da hatte ich doch geglaubt, etwas ganz Einzigartiges erlebt zu haben. Aber egal wie, es war für zwei Tage eine gute Beschäftigung. Eine kleine Ablenkung von mir selbst. Ferien von den Gedanken des Lebens.
Es ist ein widersprüchlicher Prozess, zu sein und das Bedürfnis zu haben, sich auszudrücken. Es ist zwar eine Befreiung, von Gedanken oder Gefühlen frei zu sein, aber zugleich ist es eine Notwendigkeit, sie nicht abzulenken. Denn sie sind der eigentliche Quell des Bedürfnisses. Und dann muss es doch eine Befreiung sein zu schreiben … ja, wenn der Umsetzungsprozess gelingt. Aber von diesem Umsetzungsprozess Ferien, zu machen, gelang mir nicht so ganz … abgesehen von den paar Malen, wenn ich den Anblick meines Einhorns genießen konnte.
Anette Sørensen Habel, Autorin und mehr
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig