Gabriele Haefs ist auch Gastautorin auf diesem Blog mit Berichten aus ihrem Arbeitsalltag, von besonderen Ereignissen und außergewöhnlichem Geschehen. Sie führt nach meinem Empfinden ein turbulentes Leben, das sie voll im Griff hat.
Als es noch den Newsletter des Bücherfrauen e.V. gab, dessen Redaktionsleitung und Gestaltung mir oblag, führte Andrea C. Busch, Autorin und Übersetzerin, eine viel zu früh verstorbene Freundin, mit Gabriele ein Interview, das unter der Überschrift „Gabriele Haefs – eine Frau, die anscheinend keinen Schlaf braucht“ im vorletzten Newsletter vom März 2005 veröffentlicht wurde.
Andreas erste Frage lautete: „Gabriele, wenn ich bei ,Amazon‘ Deinen Namen eingebe, tauchen über 120 Bücher auf, die Du seit 1998 übersetzt oder herausgegeben oder mitverfasst hast. Wie bewältigst Du einen solchen Berg Arbeit?“
Klar, ich habe nun ebenfalls unter Bücher „von Gabriele Haefs“ nachgeschaut und fand – 12 Jahre später – die gewaltige Anzahl von beinahe 800 übersetzten und/oder herausgegebenen Titeln von 84 Autorinnen und Autoren in den Rubriken: Romane für Jugendliche (156), Romane für Kinder (118), Gegenwartsliteratur (124), Schwedische Krimis & Thriller (42), Biografien & Erinnerungen (18), Krimis & Thriller (170), Biografische Romane (5), Liebesgeschichten (15), Kinderbücher (130), Soziale Biografien & Erinnerungen (3), hierunter nicht aufgeführt: Belletristik – Fachbücher – Fantasy & Science Fiction – Film, Kunst und Kultur – Naturwissenschaften & Technik („muß ein Witz sein“ gemäß Gabriele :-)) – Politik und Geschichte – Schule und Lernen, gefunden unter „Bücher von Gabriele Haefs“ und „irische Bücher von Gabriele Haefs“.
Unglaublich! Also, wie bewältigst Du einen solchen Berg Arbeit mit Literatur aus so vielen Genres neben Lesungen, Jury-Mitarbeit, Artikel-Schreiben und und und?
Keine Ahnung, geht eben, früh aufstehen? Oder weil Arbeit und „normales“ Leben ineinander überfließen? Und wenn ich sehe, was ich gern schaffen würde, und was ich alles nicht schaffe, finde ich es gar nicht überwältigend.
Kann Dein Hang zur Literatur auf Deine Familie zurückgeführt werden? – Zumindestens weiß ich von Deinem schreibenden und übersetzenden Bruder Gisbert, deinem Vetter Wilhelm, dem Germanisten, und Deinem schreibenden Ehemann Ingvar Armbjørnsen, den Du übersetzt.
Keine Ahnung, wir sind die erste Generation in der Familie, die studieren konnte, ob unsere Eltern und Großeltern literarisch tätig gewesen wären, wer kann das sagen? Aber von meiner Mutter weiß ich, daß bei ihnen immer viel gelesen wurde, und zwar alles, ohne vornehme Zurückhaltung, was sogenannte „Trivialliteratur“ angeht. Jede Woche kam der Kolporteur und brachte die neue Folge von „Josef Petrosino, der Rächer der schwarzen Hand“, die Hefte wurden von den Großeltern sorgfältig versteckt, damit die Kinder es nicht lasen, und meine Mutter hat bis an ihr Lebensende nach „Josef Petrosino“ gesucht. Das hat immerhin dazu geführt, daß wir immer alles lesen durften.
Ansonsten waren mein Bruder und ich zwar die ersten, die studieren konnten, als wir fertig waren, gab es aber keine Stellen mehr, weil die erste große Welle von Streichungen losgegangen war. Es gab nichts, einfach nichts. Ich hatte nie literarische Anwandlungen, ich hatte Volkskunde, Sprachwissenschaft, Skandinavistik und Keltische Sprachen studiert (heute könnte ich in Hamburg nur noch Volkskunde studieren, alles andere ist als unrentabel abgeschafft worden), und ich hätte so gern geforscht … aber weil es keine Stellen gab, hab ich mir ein norwegisches Buch geschnappt, einige Kapitel übersetzt, und damit bin ich dann hausieren gegangen.
Vetter Wilhelm ist sozusagen ein etwas anderer Fall, er hat den Hof meiner Großeltern nicht geerbt, und da mußte er doch studieren, und er hat Germanistik gemacht, und da liegt es doch nahe, daß er Fachliteratur schreibt. Er hat nachgewiesen, daß der scheinbar so harmlose Kinderbuchautor Waldemar Bonsels („Die Biene Maja“) ein übler Nazi war. Wir sind sehr stolz auf Wilhelm.
Ich möchte noch einen weiteren Vetter erwähnen, Volker Pesch, der gerade seinen ersten Krimi veröffentlicht hat: „Denn wer da hat, dem wird gegeben“, im CMZ-Verlag. Ja, vielleicht liegt uns die Literatur in der Familie, jedenfalls insoweit, als daß wir schreiben, wenn wir uns sonst nicht ernähren können.
Du übersetzt Schwedisch, Norwegisch und Gälisch, natürlich auch Englisch ins Deutsche. Übersetzt Du auch umgekehrt deutsche Literatur?
Nein, könnte ich nicht, geht nicht, die sprachlichen Feinheiten hat man doch nur in der eigenen Sprache richtig drauf, bei der Übersetzung in Fremdsprachen gibt es immer winzige Stolperstellen, die einen verraten, oder die den Text ruinieren. Ich kenne einige wenige, die es schaffen, aus ihrer eigenen Sprache rauszuübersetzen, aber die können im Gegenzug nicht mehr richtig Deutsch schreiben. Es gibt offenbar einen Mechanismus im Gehirn, der sich da querstellt.
Du setzt Dich für die Übersetzung von AutorInnen ins Deutsche ein, denen Du Bedeutung beimisst, die in ihren Heimatländern beachtet werden und bekannt sind oder denen droht, vergessen zu werden. Welche sind das? Und welche Erfolge kannst Du verzeichnen?
Das ändert sich dauernd, also, jetzt ist ja gerade Máirtín Ó Cadhain auf Deutsch erschienen, der den wichtigsten irischsprachigen Roman des 20. Jahrhunderts geschrieben hat, Ich hab noch einen anderen Iren im Angebot, Seamus Ó Grianna, Vorbild für Flann O’Briens Erzählungen und mindestens einen Roman. Also, für den hab ich noch keinen Verlag.
Und von norwegischer Seite versuche ich es gerade mit Ragnhild Jølsen (über die hab ich mal auf dem Blog geschrieben, die Schöne, auf die Hamsun scharf war), und das sieht gut aus, und weil Norwegen 2019 Gastland auf der Frankfurter Buchmesse wird, finde ich, Bjørnstjerne Bjørnson muß neu übersetzt werden. Norwegens erster Nobelpreisträger, Ibsens großer Rivale, der sich dauernd über Ibsen lustig gemacht hat, das alles spricht doch für eine Wiederentdeckung hierzulande! Und die Autorin Sigrid Boo, sozusagen eine norwegische Irmgard Keun, auch die hat noch keinen Verlag. Aber Unni Lindell, eine meiner Lieblingsautorinnen, Norwegens erfolgreichste Krimiautorin überhaupt, die in aller Welt so viel gelesen wird wie Jo Nesbø, wird mit ihrer neuen Serie endlich wieder auf Deutsch erscheinen, im Aufbau Verlag ab 2017, und das ist ein schöner Erfolg.
Auf Andreas Frage nach einem großen Ziel in Deinem Leben nanntest Du drei Möglichkeiten: richtig gut Litauisch zu lernen, ein Buch über den Heiligen Cucuphatus zu schreiben oder ein Jahr in Flandern zu leben. Hat sich davon eines inzwischen verwirklicht, oder bist Du einem schon sehr nahe gekommen?
Kaum, manchmal denke ich, daß ich lieber Rumänisch lernen und das Jahr an der niederländischen Nordseeküste verbringen möchte, das ist also alles fließend. Aber mein Cucuphatus-Ordner wird immerhin immer dicker!
Zum Schluss ist mir unbedingt noch danach, zwei meiner neuen Lieblingsbücher mit Nachdruck zum Lesen ans Herz zu legen, weil sie mich absolut begeistert haben und beide Seiten Gabrieles als Übersetzerin und Autorin zeigen. Das eine hat Gabriele 2016 über Norwegen geschrieben, das andere ist erstmalig von ihr aus dem Gälischen ins Deutsche übersetzt und 2017 erschienen (zum Übersetzen von „Grabgeflüster“ ein Beitrag aus dem Oktober 2017):
„Grabgeflüster“ findet zwar unter Toten statt, ist aber voll aus dem irischen Leben gegriffen. Ich habe mich köstlich amüsiert, nicht „auf Kosten von“, sondern in liebevoller Erinnerung an meine Begegnungen mit den Menschen auf der grünen Insel. – Dieses zeitlose Werk von Máirtín Ó Cadhain, geschrieben 1949, übersetzt aus dem Gälischen von Dr. Gabriele Haefs, lektoriert von Dr. Julia Aparicio Vogl, werde ich immer wieder aufschlagen, um mich an den lebendigen Gesprächen zu erfreuen.
„111 Gründe, Norwegen zu lieben – Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt“ von Gabriele Haefs ist mit soviel Überraschungen gespickt, dass meine theoretischen Kenntnisse über dieses Land um etliche Facetten bereichert wurden. Meine schon bestehende Sympathie ist um ein „Da-muss-ich-unbedingt-hin“ gewachsen, weil es halt nicht nur um Landschaften und Sehenswürdigkeiten geht, sondern auch die Menschen und ihr Miteinander Beachtung finden und mit viel Zuneigung und Humor betrachtet werden. Ich reise nie in andere Länder ohne gespannte Erwartung auf die Begegnungen mit den dort lebenden Menschen. Eine 312 Seiten lange Liebeserklärung.
2019 ist dieses Buch mit anderem Cover in einer aktualisierten und erweiterten Neuausgabe mit elf Bonusgründen und Orts- und Personenliste auf insgesamt 352 Seiten bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen.
So eine interessante Frau! Ich finde es immer sehr bewundernswert, wenn jemand viele Fremdsprachen kann, besonders wenn es sich um welche handelt, die eher selten sind, wie Gälisch.
Laut den Aussagen meiner Mutter und Großmutter grenzt es ein Wunder, dass ich überhaupt meine Muttersprache beherrsche 😉
LG Sabienes
Liebe Frau Sabiene,
was ich bisher auf Deinem Blogs gelesen habe, zeugt davon, dass Du Dich sehr gut mit einer Prise Selbstironie und Humor auszudrücken weißt 🙂
Liebe Grüße
Evelyn
Das Ergebnis harter Arbeit und Selbstkasteiung! 😉
LG Sabienes
Gabriele liebt den Heiligen Cucuphatus, der dem Heiligen Christophorus helfend beisprang. Dazu habe ich ein erhellendes Gedicht von Ernst Eugen Schmidt gefunden http://www.cucuphatus.de – Wer aber ist nur dieser Dichter?