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Geschichten vom Schreibtisch (2): Prokrastination – von Rainer Pörzgen

Wahrigs Fremdwörterbuch (Neuausgabe 1999) kennt das Wort Prokrastination nicht, es fehlt darin zwischen Prokonsulat und Prokrustesbett. War das Problem damals noch nicht erkannt? Zahlreich hingegen sind die Internetseiten dazu; eine Google-Abfrage heute erzielte „Ungefähr 144.000 Ergebnisse“: Definitionen, Herleitungen und Ursachen werden abgehandelt sowie Tipps gegeben, wie damit umzugehen sei.

Prokrastination

Also ich kannte 1999 das Problem mit Aufschieberitis bereits gut, nicht allerdings das gewaltige Wort dafür. Ich saß am Schreibtisch, arbeitete an einem Artikel oder einem Aufsatz und ganz plötzlich, während ich eine Formulierung im Kopf hin und her wendete, fiel mir ein, dass ich dringend einkaufen gehen müsste, dass ein Hausputz längst überfällig war, oder irgendeine andere vermeintlich unaufschiebbare Tätigkeit kam mir in den Sinn. Oft genug ließ ich mich dann dazu auch verleiten, verließ den Schreibtisch, ging einkaufen, putzte die Wohnung, was auch immer – wenn nicht gerade ein Redaktionsschluss oder ein verabredeter Abgabetermin mich zum Weiterarbeiten zwang. Das geht mir mitunter noch heute so. Damals nannte man das gern Mangel an Disziplin, an Konzentration oder schlicht Faulheit. Wobei mir schon immer bewusst war, dass solche Zuschreibungen der Sache nicht gerecht wurden, schon deshalb nicht, weil sie leere Kühlschränke oder ungeputzte Wohnungen zu Belegen eiserner Disziplin machten.

Der tiefere Grund von Prokrastination

Thomas Mann hat einmal sinngemäß angemerkt, dass ein Schriftsteller ein Mensch sei, der Skrupel habe zu schreiben (ich hoffe, dass es tatsächlich Thomas Mann war, ich zitiere aus dem Gedächtnis). Und darin scheint mir der tiefere Grund zu liegen: Jedes geschriebene Wort ist eine Festlegung! Und wer um die unglaublich feine Nuanciertheit der Sprache weiß, der schreckt leicht davor zurück, sich darin festzulegen. Daran ändert auch die Arbeit am PC nichts, das nunmehr leichte Löschen, Ersetzen oder Umstellen von Wörtern durch das Drücken weniger Tasten … wenn man das nämlich mehrere Male gemacht hat und sich der ersten Fassung nicht mehr erinnern kann, dann glaubt man fest, dass diese doch die beste gewesen sei, und wünscht sich das gute alte Blatt Papier zurück, wo man sie durch die Streichungen und Überschreibungen hindurch rekonstruieren konnte. Letztlich muss immer ein Wort stehen bleiben. Auch die Technik enthebt einem also nicht des Zwangs, sich festzulegen – die Skrupel bleiben. Weshalb man eben gern in leichtere Entscheidungen wie die zwischen Butter und Margarine oder Staubsauger und Besen flüchtet.

Text: Rainer Pörzgen
Grafik: Evelyn Kuttig

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


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Evelyn Kuttig

Evelyn Kuttig

Ich arbeite(te) als Grafikdesignerin, Projektmanagerin, Rechercheurin, Redakteurin und Texterin. – Das Blog enthält Berichte aus meinem Arbeitsalltag und Gastbeiträge aus vielfältigen Arbeitsfeldern, die zur Entstehung von Büchern beitragen. – Auch im Ruhestand stehe ich Interessierten mit meinen vielseitigen Kenntnissen und Erfahrungen und psychologischem Gespür immer noch gerne mit Rat und Tat und Empfehlungen zur Seite.

2 Gedanken zu „Geschichten vom Schreibtisch (2): Prokrastination – von Rainer Pörzgen“

  1. Ich „leide“ phasenweise sehr am Hang zur Prokrastination! Du kannst von Glück sagen, wenn deine Variante dich immer weg vom Monitor treibt, da bewegst du dich wenigstens. Mich „verschlägt“ es oft nur irgendwo andershin in den virtuellen Weiten – ist ja alles nur einen Mausklick vom gerade zu bearbeitenden Text (o.ä.) entfernt.
    Meine Theorie, die natürlich nur individuelle Geltung hat: es liegt daran, dass man als Freiberuflerin im Grunde immer eine ToDo-List im Kopf hat – so richtig „Arbeitsende“ ist eigentlich nie, bzw. immer mit dem Hintergedanken: eigentlich könntest du ja auch noch… dies und das erledigen etc. usw.
    Dagegen wehrt sich das Unbewusste durch Ablenkung: die Pausen werden dann eben nicht NACH, sondern mitten IN der Arbeit erzwungen.

    1. Deiner Theorie, Deiner Reflexion stimme ich hundertprozentig zu. Du hast es für die Praxis von FreiberuflerInnen so etwas von auf den Punkt gebracht, stehst sicher ganz und gar nicht allein mit diesem Tun. Hinzu kommt noch der Rechtfertigungscharakter für diese Schein-Pausen: Ich arbeite nicht ununterbrochen! Vorwürfe aus dem Umfeld sind nicht gerechtfertigt! – Ich versuche gerade, mich aus diesem Hamsterrad zu befreien: Newsletter reduzieren, Struktur in den Umgang mit Social Media bringen, Zeiten für Schreiben, Lernen und Auftragsarbeiten festlegen, richtige Pausen einlegen … Ich will mir mit Hilfe einer Mind Map auf die Schliche kommen 😉

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