Es gibt so viele Wörter für diese Art von Text, der einen Kommentar zu einer Sache enthält und irgendwie witzig sein soll. Wenn er nicht witzig ist, ist er ein Leitartikel oder so was, und wenn der Witz zu sehr an den Haaren herbeigezogen ist, ist der Text mißlungen. Es gibt viel zu wenig Literatur über diese Textsorte, aber ein Buch ist gerade auf Deutsch erschienen. Aus dem Norwegischen übersetzt, was niemanden wundern kann, denn Norwegen ist sozusagen Glossenland. Jede Tageszeitung, die etwas auf sich hält, hat feste Leute, die für sie Glossen schreiben.
Einer ist Ludvig Lorentzen aus Stavanger, der Jahre in der Zeitung Stavanger Aftenbladet veröffentlicht hat und irgendwann gebeten wurde, zu Nutz und Frommen des journalistischen Nachwuchses ein Buch übers Glossenschreiben zu verfassen. Das tat er. In Norwegen erschien es bei einem journalistischen Fachverlag, ein Fachverlag aus Österreich wollte das Buch haben, ich übersetzte, und dann passierte jahrelang nichts, keine Antwort, kein Cent an Autor oder Übersetzerin, Stoff für tausend Glossen also, aber dennoch sehr unbefriedigend. Jetzt aber, über den Umweg einer neuen Glosse von Ludvig Lorentzen, die in „111 Gründe Norwegen zu lieben“ erstmals auf Deutsch erschienen war, hat sich ein neuer Verlag gefunden, das Buch ist da, unter dem hinreißenden Titel „Neurosenkavalier“. Auf Norwegisch hieß es einfach „Petiter“, so heißen dort die Glossen, weil sie eben nicht so wahnsinnig riesig sein sollen.
Ludvig Lorentzens Buch ist eine Geschichte der Glossen, eine Stilschule, zeigt auf, was man lieber vermeiden sollte, und neben theoretischen Erörterungen enthält es auch Glossen des Meisters.
Dem guten Glossenstil getreu, nämlich, im Text eine Überraschung einzubauen, kommt jetzt eine norwegische Glosse. Keine von Ludvig Lorentzen, sondern von Ellisiv Lindkvist, einer wunderbaren Autorin, von der es noch nichts auf Deutsch gibt. Bisher. Skandal! Dabei hat sie sogar schon zwei Romane veröffentlicht.
Die Glosse heißt, „Seht, er denkt!“ und ist, wie es sich für eine gute Glosse gehört, wahrlich aus dem Leben gegriffen.
Hallo?
Ja, hallo, ich bin das. Sie wissen doch, wer ich bin. Ich war im Fernsehen und überhaupt.
Ja?
Egal, ich hatte da so einen Gedanken, einen überaus interessanten Gedanken. und wenn Sie also so nett wären und auf der ersten Seite Platz machten, dann könnte ich mich gerade hinsetzen und in die Kamera schauen. Ich hab auch einen Anzug an und so.
Aber warum denn?
Als ich von Morgenbladet interviewt worden bin, hatte ich Shorts an, aber da war ja auch Sommer, jetzt ist schließlich Winter, und da macht ein Anzug sich besser, meinen Sie nicht?
Ich meine, warum sollten wir die erste Seite für Sie freiräumen?
Weil ich einen überaus interessanten Gedanken hatte, hören Sie eigentlich nicht zu?
Und was ist das für ein Gedanke?
Es geht zum Teufel!
Es geht zum Teufel?
Ist das nicht einfach genial?
Dass es zum Teufel geht?
Dass ich diesen Gedanken hatte.
Wieso eigentlich?
Weil es ein überaus interessanter Gedanke ist.
Tja. Aber warum?
Vor allem, weil ich ihn gedacht habe.
Und Sie sind?
Ich bin ein bekannter norwegischer Journalist. Sehr bekannt, weil ich kein Blatt vor den Mund nehme und immer recht habe.
Es geht also zum Teufel?
Ja, jetzt wird ein Faktencheckportal eingerichtet.
Ist das denn keine gute Idee?
Nein.
Warum nicht?
Weil ich gedacht habe: Das geht zum Teufel!
Ach?
Das kann die Überschrift für das Interview mit mir sein: „Das geht zum Teufel.“ Kriegen Sie gratis.
Ja, danke. Aber haben Sie Angst vor Fakten?
Natürlich nicht. Ich habe schließlich immer recht. Aber es sagt uns doch etwas, wenn ich dabei als erstes denke: Das geht zum Teufel.
Und was sagt uns das?
Vor allem, dass ich ein wichtiger Mann bin, der denken kann. Dass ich in ganzen Sätzen mit Subjekt und Prädikat denken kann. Und ein religiös geprägtes Wort ans Ende zu setzen, ist herrlich politisch unkorrekt.
Und was ist also das Problem beim Faktencheck?
Der ist total unnötig. Sie haben doch mich. Rufen Sie einfach an, wenn Sie etwas wissen wollen.
Hm.
Schicken Sie jetzt den Fotografen? Ich binde mir auch einen Schlips um.
Dieses Gespräch mit den Namen deutscher Journalisten anzureichern, die dieses Gespräch geführt haben könnten, wäre verlockend, würde aber die Grenzen der Glosse sprengen. Wir haben schließlich Ludvig Lorentzen gelesen!
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig