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Ich durfte über Märchen schreiben

Genauer gesagt, über norwegische Märchen. Und das gleich doppelt! Dabei sind die Märchen, die wir in den üblichen norwegischen Märchensammlungen finden, eigentlich recht konservativ. Die Märchenhelden, ob Prinz oder dritter Bauernsohn (der, dem niemand etwas zutraut), ziehen auf Abenteuer aus und bekommen das halbe Königreich und die Prinzessin als Zugabe. Die Prinzessin wird nicht gefragt. Wenn eine Frau in einem norwegischen Märchen aktiv werden darf, dann sehr oft als Strafe. In dem in der Märchenforschung „Der Tierbräutigam“ genannten Märchen zum Beispiel (die Fassung der Brüder Grimm heißt „Das singende, klingende Löweneckerchen“) muss sie ein Ungeheuer heiraten, das sich dann in dunkler Nacht anfühlt wie ein schöner junger Mann. Er verbietet ihr aber, Licht zu machen, was sie natürlich doch tut, weil sie ihn in seiner wahren Gestalt sehen möchte. Daraufhin verläßt er sie – und sagt ihr noch, wenn sie nur ausgehalten hätte, hätte sie ihn erlösen können, aber sie hat nun mal nicht, und nun muß sie einmal um die Welt irren, um ihn zu finden und von der neuen Braut loszueisen. Aber von selbst auf Abenteuer gehen? Das tut eine norwegische Märchenfrau nicht.

Und das hat seinen Grund. Die Sammler nämlich. Die Sammler, die im 19. Jahrhundert in Norwegen über die Dörfer zogen und Märchen aufzeichneten, waren allesamt seriöse Herren, meistens zudem Pastoren, und die hatten so ihre Vorstellungen davon, daß das Weib in der Gemeinde und am besten auch überall sonst zu schweigen hat. Also ließen sie sich Märchen vor allem von Männern erzählen, veröffentlichten sie dann oft erst, nachdem sie alles umgeschrieben hatten, was ihren strengen Auffassungen von Sitte und Moral widersprach.

Mark Asadowski – © Folklore Fellows Communications

Aaaaaber. „Vom persönlichen Geschmacke eines jeden Erzählers hängt die Wahl der Märchen aus dem Vorrate ab, welcher in der betreffenden Gegend sich erhalten hat.“ Das schreibt Mark Asadowskij, einer der Begründer der modernen Märchenforschung, die den leicht irreführenden Namen Märchenbiologie hält. In seiner wegweisenden Studie über eine sibirische Märchenerzählerin weist er nach, wie die Erzählerpersönlichkeit den Märchenstoff mit eigenen Zutaten anreichert, und daß es große Unterschiede geben kann, abhängig davon, ob wir es eben mit einem Erzähler oder einer Erzählerin zu tun haben. In Norwegen kam diese Art von Märchenforschung mit großer Verspätung an, was sicher viele Gründe hat. Einer war, daß Norwegen noch nicht lange unabhängig war, als Asadowskij und andere ihre Forschungsergebnisse vorstellten, und die Märchen wurden als „typisch norwegisch“ zur Nationsbildung gebraucht.

Olea Crøger – © Wikicommons

Seit einigen Jahren aber ist das ganz anders, es wird untersucht, wer damals Märchen erzählt hat, und welche Fassungen die Sammler notiert haben. Oder die Sammlerinnen. Plötzlich wird Olea Crøger (1801–1855) entdeckt, die erste Person, die in Norwegen überhaupt Märchen sammelte, eine Auswahl ihrer Märchen erschien aber erst an die 150 Jahre nach ihrem Tod. Sie hat, anders als die erwähnten Pastoren, vor allem mit Erzählerinnen gesprochen. Und Märchen notiert, die absolut von dem abweichen, was dann als typisch norwegische Märchen bekannt wurde. Zum Beispiel dieses hier. Wobei noch gesagt werden muss, dass es wie immer auch von diesem Märchen allerlei Varianten gibt, und auch der Schluß kann je nach dem Geschmacke der Erzählersin unterschiedlich ausfallen. Mal taucht doch noch der Prinz auf, und die Heldin muß mit ihm gehen, weil er die älteren Rechte hat, wird aber ihres Lebens nicht mehr froh, mal arrangieren sie sich zu dritt, aber meistens endet es so wie hier erzählt.

Es war also einmal eine Königstochter, um die warb ein Königssohn aus einem anderen Land, und sie wollte ihn auch. Ihre Eltern aber meinten, sie sei noch zu jung, die jungen Leute sollten noch sieben Jahre mit der Hochzeit warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, fuhr der Königssohn zur See, doch nach den sieben Jahren kehrte er nicht zurück. Alle hielten ihn für tot, nur die Königstochter wollte das nicht glauben, sie ließ sich ein Schiff ausstatten und machte sich auf die Suche. Sie fand ihn auch auf einer einsamen Insel, wo er Schiffbruch erlitten hatte, und nun hätten sie heimkehren und glücklich miteinander leben können bis ans Ende ihrer Tage, doch nein! Auf der Rückreise machten sie Station auf einer weiteren kleinen Insel, sie brauchten Wasser und Früchte, und sie gingen an Land, um beides zu holen. Sie das Wasser, er das Obst. Dabei verirrte sich der Königssohn, und außerdem war er müde und legte sich erst mal zum Schlafen nieder, und da lag er dann und sah so schön aus, daß eine zufällig vorüberschwimmende Meerfrau sich nicht beherrschen konnte und ihn mitnahm.

Als er nicht zurückkehrte, war die Königstochter natürlich verzweifelt, und da sie ihn nicht finden konnte, glaubte sie nicht an einen Unfall, sondern meinte, er habe sich die Sache anders überlegt und sie verlassen. Als verschmähte Braut wollte sie aber nicht nach Hause zurückkehren, deshalb bestieg sie ihr Schiff und fuhr erst einmal weiter. Um sich weiteren Ärger mit den Männern zu ersparen, verkleidete sie sich nun aber als Mann. Und sie kam in ein Königreich, wo der König von einem bösen Feind belagert wurde. Der König war total beeindruckt, als da ein junger Fremder ankam und seine Dienste anbot, übertrug dem jungen Fremden das Oberkommando über das Heer, und der böse Feind wurde vernichtend geschlagen. Nach alter Sitte sollte der siegreiche Held die Prinzessin und das halbe Königreich bekommen. Nun war guter Rat teuer. „Was soll ich mit einem halben Königreich“, sprach der Kriegsheld, „lasst mich meiner Wege ziehen und anderswo neue Heldentaten verbringen!“ Doch der alte König sagte: „Die andere Hälfte bekommst du ja nach meinem Tod, und mit einem ganzen Königreich kann man schon eine Menge anfangen.“ Dagegen ließ sich nichts einwenden, und der gute Rat wurde immer teurer. Der Kriegsheld begab sich nun zu der Prinzessin und bat um ein Wort unter vier Augen. Und dort gestand er ihr die Wahrheit: „Ich bin gar kein Kriegsheld, ich bin nämlich eine Frau.“ Doch die Prinzessin sagte: „Dann nehme ich dich noch einmal so gern.“ Und die Hochzeit wurde mit großem Prunk gefeiert, und die beiden lebten glücklich miteinander, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Ein wirklich märchenhaft schöner Schluß, oder? Das Märchen durfte ich übersetzen für das Buch „111 Gründe, Norwegen zu lieben“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf).

Und mehr zum Thema norwegische Märchen und Märchenheldinnen in dem frisch erschienenen Buch „Mit Espen Aschenbengel zu neuen Abenteuern im Land der Trolle“ von Ase Birkenheier (Hamouda Verlag), zu dem ich ein ausführliches Vorwort schreiben durfte!

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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