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Lebenshilfe beim Übersetzen – Gábor von Vaszary

Gábor von Vaszary, Zwei gegen Paris, rororo 1954, das 51. bis 75. Tausend, Umschlagseite vorne
Gábor von Vaszary um 1930 – Fotograf unbekannt
Gábor von Vaszary um 1930 – Fotograf unbekannt

Der Ungar Gábor von Vaszary hat vor fast achtzig Jahren ein Buch geschrieben, das „Zwei gegen Paris“ heißt und das in den 50er Jahren offenbar in rauhen Mengen als RoRoRo-Buch verkauft wurde. Es ist eine banale Geschichte: Zwei sehr junge Ungarn sollen nach Wien geschickt werden, um anständig Deutsch zu lernen, da ihr Abitur sonst gefährdet ist. Ihnen ist Wien zu fad, und da nehmen sie dann doch lieber das Reisegeld und fahren nach Paris. Französisch können sie allerdings gar nicht, und so handelt das Buch vor allem davon, wie sie versuchen, diese Sprache zu erlernen. Nebenbei verlieben sie sich, glühende Blicke und heiße Küsse werden getauscht, die schöne Gilberte haucht leidenschaftlich „Kraut, Kraut“. So übersetzt das unser Held jedenfalls, als er ein Wörterbuch konsultiert, „choux-choux“ hat sie gesagt. Doch als der Ich-Erzähler der Angebeteten dann auf Französisch seine Gefühle gestehen kann, ist Schluss – ihr ging es um die glühenden Blicke, sentimentales Zeug will sie sich nicht anhören müssen. Über Gábor von Vaszary lese ich, dass er in seinen Romanen „die Liebesabenteuer junger Ungarn in Paris“ beschreibt, ein Buch, „Monpti“, wurde mit Romy Schneider und Horst Buchholz verfilmt. Aber glaubt mir, die sind alle stinklangweilig. Anders als „Zwei gegen Paris“. Nirgendwo stehen so messerscharfe Analysen des Sprachlernprozesses: Anfangs versteht man nichts und wird von niemandem verstanden, obwohl man ununterbrochen lernt. „Vor allem verstünde man selbst nicht, was einem die anderen sagen. Dann komme sehr langsam jenes Stadium heran, wo man sich zwar verständlich machen könne, selbst jedoch noch immer niemanden verstünde. Eine neue Station des Fortschritts sei dann: man bilde sich schon ein, die anderen zu verstehen, aber ganz ohne jede Berechtigung; denn es könne eher von Mißverständnissen die Rede sein. Wenn man aber unentwegt weiterlerne, komme dann auch das glückliche Zeitalter, in dem man einige Leute dann allmählich verstehen könne, andere jedoch überhaupt nicht.“ Irgendwann glaubt man, alle verstehen zu können, aber dann muss man telephonieren, und dann versteht man abermals nichts. „Verzagen dürfe man aber nicht.“

Abgesehen davon, dass sich diese Erfahrung beim Übersetzen oft wiederholt – verstehe ich wirklich, was die Autorin da schreibt? –, werden beängstigende Erinnerungen an die Zeit des Sprachenlernens wach. Und niemand hat uns so sinnvolle Tips gegeben wie: „Wenn man in einem Laden Brot kauft, dann schreit man kühn den Bäcker an: So ein Sauwetter! Danach muß der Bäcker unweigerlich den Eindruck gewinnen, daß wir intelligente Menschen sind.“

Die beiden jungen Reisenden beschließen zunächst, die Mühen des Lernens aufzuteilen. Sie schreiben die 200 wichtigsten Wörter heraus, 100 maskuline und 100 feminine. Dabei verrutschen die Zeilen, und der eine lernt das Wort für Butter als Adler. Und statt sich zu freuen, dass er nun weiß, was Adler auf Französisch heißt, bekommt er einen Wutanfall, weil er lieber „Butter“ lernen will. In einer schicksalhaften Szene taucht dann ein Adler auf, und da sieht man, wie nützlich Irrtümer beim Sprachenlernen sind – und jeder vernünftige Mensch möchte ja wohl lieber „Adler“ als „Butter“ lernen. Sie finden ein französisch-ungarisches Wörterbuch und sind tief beeindruckt davon, was es für schöne Wörter gibt, für alles, dicker Strick aus minderwertigem Hanf, einen Wald abzuholzen anfangen, „wenn eine Fliege auf der Fensterbank einen Punkt hinterlässt, das hat schon eine selbständige Bezeichnung“. Was das alles heißt, verrate ich aber nicht, das hier ist ja kein Französisch-Lehrgang. Ein Wort, das sich ihm sofort unvergesslich einprägt, ist Salzsteuerbefreiung. Das aber führt, anders als die Sache mit dem Adler, zu der pessimistischen Überlegung: „Was kann mir das denn nützen? Setzen wir mal den Fall, daß jemand in meiner Anwesenheit von der Salzsteuerbefreiung spricht, wäre es da nicht viel einfacher, bei dieser Gelegenheit zweimal zu husten? – und schon ist von etwas anderem die Rede.“

Gábor von Vaszary, Zwei gegen Paris, rororo 1954, das 51. bis 75. Tausend, Umschlagseite vorne

Gábor von Vaszary, Zwei gegen Paris, rororo 1954, das 51. bis 75. Tausend, Umschlagseite hintenGábor von Vaszary, Zwei gegen Paris, rororo 1954, das 51. bis 75. Tausend, Werbung für die Monatszeitschrift hobbyMein Exemplar des Buches ist von 1954, das 51. bis 75. Tausend, das stand damals immer im Buch – und am Ende gab es eine schöne Reklame. Es hat aber noch viele Auflagen erlebt, und seine Wirkung ist noch heute zu beobachten. Wenn bei einem Empfang das Buffet eröffnet wird und jemand sagt befriedigt: „Ah, die Kanapees des rauchenden Fisches!“, dann sehen wir hier den segensreichen Einfluss von Meister Vaszary. Wir lernen, ein Wörterbuch hilft im Restaurant nicht viel weiter. Andere Gerichte, die sie dann doch lieber nicht bestellen, sind „Fliegen oder Stehlen im Wind oder Geruch auf geldlichem Gebiet“, (darf man dazu überhaupt Salat bestellen?), „Die Hosen des krautigen Ochsen“ und „Keuchende oder mucksende Äpfel“. Und wieder frag ich mich beim Übersetzen, ob ich hier nicht auch Gefahr laufe, auf einen krautigen Ochsen hereinzufallen (der Ordnung halber: mein Wörterbuch, noch aus Schulzeiten, sagt „Hüftstück vom Rind“, Google Translate aber behauptet „Rinderhose“, es gibt eben nicht immer nur eine richtige Lösung!)

Und das sind nur einige wenige der interessanten Situationen, in denen wir die zwei gegen Paris beobachten dürfen – kurzum, ein überaus lehrreiches Buch, das alle lesen sollten, die irgendwas mit Sprachen zu tun haben, ob sie nun lernen, lehren oder übersetzen. Und warum wird dieses Buch nicht endlich noch mal aufgelegt?

Das mit der Salzsteuerbefreiung ist übrigens heute noch so. Vor einiger Zeit schrieb eine von mir geschätzte Journalistin, sie wisse nicht, wovon ihre nächste Kolumne handeln sollte. Das werte Publikum möge Themen nennen, sie werde jedes davon in der nächsten Kolumne unterbringen. SALZSTEUERBEFREIUNG, schrieb ich. Dreimal darf geraten werden, welches Wort in allen seither erschienenen Kolumnen dieser wortbrüchigen Person durch Nichtvorhandensein glänzt!

Gabor von Vaszary: Zwei gegen Paris, aus dem Ungarischen von J. P. Toth

Ein Beitrag von Gabriele Haefs zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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