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Lest die Klassiker II – Fedor von Zobeltitz

Fedor von Zobeltitz
Fedor von Zobeltitz

Fedor von Zobeltitz (1857–1934) als „vergessenen Klassiker“ zu bezeichnen, ist natürlich verlockend, aber ganz stimmt es nicht. Wann immer es um das Deutsche Kaiserreich geht, liefert er wichtiges Quellenmaterial. Seine Berichte vom Hof, die er wöchentlich für die Tageszeitung „Hamburger Fremdenblatt“ schrieb (1922 gesammelt als „Chronik der Gesellschaft unter dem letzten Kaiserreich“), und seine Unterhaltungsromane sind wichtige Quellen über Leben und Befindlichkeiten jener Zeit, egal, ob wir wissen wollen, wie der Besuch des Schahs von Persien in Berlin 1884 vor sich ging (viel lustiger als der seines Nachkommen 1969), oder ab wann es ganz normal wurde, daß Damen in aller Öffentlichkeit rauchten, über das alles gibt Fedor Auskunft. Er hat über siebzig Romane geschrieben, ohne großen literarischen Anspruch, aber ach, so spannend, witzig, lehrreich! Außerdem war er Gründungsmitglied der noch heute bestehenden Gesellschaft der Bibliophilen und ihr erster Vorsitzender.

Genug geschwärmt. Fedor von Zobeltitz sollte eigentlich für alle Übersetzenden Pflichtlektüre sein, jedenfalls für die unter uns, die historische Romane übersetzen. In einem einzigen Buch von ihm begegnen uns die bessere Gesellschaft, die auf dem Rennplatz die Pferde durch Krimstecher mustert, der Feingeist, der im kurulischen Sessel argwöhnisch das Treiben der Krapüle beäugt sowie ein schwipper Herr. Der schwippe Herr kommt häufiger vor, man kann sich ihn sofort vorstellen, der Leutnant in Zivil, mit federndem Gang, der zweifellos noch einige Mädchenherzen knicken wird (bei Fedor geht es aber immer anders zu als anderswo und das Knicken bekommt dem schwippen Herrn zumeist gar nicht gut). Oder der gefinkelte Advokat! Beides habe ich schon mit Erfolg in Übersetzungen untergebracht, und immer fragen die Lektorinnen dann: „Woher haben Sie diese Wörter bloß? Ich mußte tagelang danach suchen!“ Und jemand, der nicht fluchen will und trotzdem seiner Wut Luft machen muß? Der sagt „Donnerschock.“ (Percy Jackson-Fans kennen dieses Wort inzwischen aus dem Vokabular des verwünschungsphoben Frank Zhang.)
Eine Fundgrube in jeder Hinsicht. Jetzt warte ich auf eine Gelegenheit, den Krimstecher anzubringen. Den habe ich aus einem soeben gelesenen Buch aus Zobeltitzens Feder, das ich noch nicht kannte. Die Gesellschaft der Bibliophilen hat ein Jubiläum und deshalb hat der Czernin-Verlag einen Roman ihres ersten Vorsitzenden neu herausgebracht. Mit einem gescheiten Nachwort des jetzigen Vorsitzenden, Professor Reinhard Wittmann.

In diesem Buch wird eine neue Tageszeitung gegründet, die wenig Text, klare Urteile, dicke Schlagzeilen und möglichst viel Klatsch und Verbrechen und Amouren bringen soll. Wir, die wir täglich mit einer solchen Zeitung konfrontiert werden, verstehen, was Fedor meinte, als er schrieb (jemand im Roman steht vor der Druckerei): „Die bedruckten Papiermassen, die dieses Haus verließen, trugen nicht den Geist freier Wissenschaft und edler Dichtkunst in die weite Welt, sondern den der Verdummung – keinen lichtspendenden Genius, sondern einen grinsenden Dämon, der sich auf schmutzigen Hintertreppen in das Volk stahlt, seine schlechtesten Instinkte zu entfesseln.“

Fedor von Zobeltitz: Die papierene Macht, Czernin Verlag, Wien 2014 (Stuttgart 1902), 408 S.

PS. Mein Lieblingszitat aus diesem Buch ist allerdings dieses:
„Confutse sagt, es gleiche der Ehrgeiz der schwarzen Schlange. Warum, weiß ich nicht. Es genügt aber.“

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

4 Gedanken zu „Lest die Klassiker II – Fedor von Zobeltitz“

  1. Dem allen stimme ich vollkommen zu. Trotzdem war die Lektüre der „papierenen Macht“ aus dem Verlag Czernin für mich mühsam, weil ich an vielen Stellen (etwa alle fünf Seiten) die Originalausgabe, die ich als verantwortungsbewußter Leser mir angeschafft habe – der Text ist noch nicht im Internet verfügbar – zu Rate ziehen musste, weil wegen mangelnder Endkontrolle viele Verschreibungen (vielleicht Schuld schlechter OCR-Software?) stehen geblieben waren, von denen einige wirklich nur durch Vergleich mit der alten Ausgabe für ein volles Verständnis aufbereitet werden konnten. Frage an Frau Haefs: Worum handelt es sich bei dem sehr schönen, aber doch außerordentlich seltenen Wort „Schubhaftstation“ (S. 42)?

  2. Nicht nur musste ich sofort „Krapüle“ nachschlagen, ich habe auch ohne Krimstecher gesehen, dass ich Herrn Zobeltitz lesen muss. „Die papierene Macht“ steht schon auf der Wunschliste. Danke für den wunderbaren Tipp!

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