Der schwedische Volkskundeprofessor Sigfrid Svensson hat viel geschrieben, ganz großer Ruhm aber gebührt ihm für sein Werk „Einführung in die europäische Ethnologie“. Unter diesem zugegebenermaßen wenig prickelnden Titel verbirgt sich das beste Buch über Schweden, das es in deutscher Sprache überhaupt gibt. Unerläßlich auf Reisen, aber auch die absolut perfekte Hilfe für alle, die Bücher aus dem Schwedischen übersetzen.
Der Titel erklärt sich dadurch, daß Professor Svensson seinen Studierenden die Methoden des Faches an schwedischen Beispielen beibringen wollte (wie zeichne ich einen Dialektatlas, wie kann ich das Alter von Trachtenknöpfen datieren, wie erkenne ich einen bestimmten Bauernhaustypus). Die Methoden werden in aller Welt genutzt, und da schien es sinnvoll, Svenssons Buch zu übersetzen, statt ein deutsches Parallelwerk mit deutschen Beispielen zu erstellen. Die deutsche Übersetzung stammt von einem weiteren Volkskundeprofessor, Otto Holzapfel, der bei Erscheinen der deutschen Ausgabe, 1973, in Freiburg lehrte.
1973, das scheint lange herzusein, aber das Buch hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Unter Übersetzenden ist es heiß begehrt, kein Wörterbuch teilt uns schließlich mit, wie die verschiedenen Dreschflegeltypen aus Dalarna auf Deutsch heißen könnten. Svensson aber zitiert einen Herrn Trotzig: „Es war eine faszinierende Wanderung durch die Zeiten, als ich von Ort zu Ort zwischen Mora und Särna kam. Ich sah den angestückten Flegel verschwinden und die Unterschicht des genagelten Schlingenflegels auftauchen.“ Sagt jetzt nicht, das interessiere niemanden, wenn man in Dalarna unterwegs ist, will man das wissen! Bei Svensson erfahren wir, wie man in Schweden zum Werwolf wird (man kann aber auch zum Werbären werden, das ist allerdings ortsabhängig), wir lesen über Waldgeister, die es eigentlich gar nicht gibt, und über eine rätselhafte Selbstmordwelle unter den Bauern von Östergötland, die bei genauerem Hinsehen doch nicht so rätselhaft wirkt. Wir erfahren aber, wie gesagt, daß nach der Methode des genialen Oscar Montelius Trachtenknöpfe ebenso datiert werden können wie Leisten in Eisenbahnabteilen.
Daß der ewig blöde August Strindberg Monteliussens Typologie für albern hielt und sich in seinem Buch „Die Insel der Glückseligen“ darüber lustig macht, steht nicht bei Svensson, für Strindberg wäre das denn doch zuviel der Ehre gewesen. Wir lesen staunend von Verbrechen in Ystad und um Ystad herum, von denen sich der urbanisierte Henning Mankell nichts träumen lassen würde, über einen Priestermord am Siljan-See, von dem alle wissen, nur leider fehlt zur angeblichen Tatzeit weit und breit kein Pastor, und einfach hinreißend sind Auskünfte wie diese: „Während des 16. Jahrhunderts scheint der Wunsch, eine ganz bestimmte Löffelform zu bekommen, im samischen Kulturkreis durchaus nicht dominierend gewesen zu sein.“ (Hier zitiert Svensson seine Kollegin Phebe Fjellström). Wer aber wissen will, wie die in Schweden üblichen Löffelformen, ob dominierend oder nicht, auf Deutsch heißen, braucht dazu Svenssons Buch. Das ich jetzt in meine Tasche packe, um mich auf den Weg nach Schweden zu machen. Weil es eben das beste Buch über dieses Land ist, das es je gegeben hat.
Sigfrid Svensson: Einführung in die europäische Ethnologie. Deutsch von Otto Holzapfel. Verlag Anton Hain, Meisenheim am Glan (leider derzeit nur antiquarisch erhältlich)
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig
Ach ja, mal ganz persönliche Vorlieben zu bekunden und sehr subjektive Werturteile subkutan oder auch intramuskulär zu injizieren, das ist natürlich das Recht jeder Blogäußerung und oft genug das Salz in der Suppe; aber ausgerechnet unter der Rubrik „Lest die Klassiker!“ „dem ewig blöden August Strindberg“ en passant eine derartige Maulschelle (selten gewordenes Wort?) zu verpassen ist schon starker Tobak, liebe Gabriele. Daß man/frau Strindberg „auch nie leiden mochte“, geschenkt! Ich konnte Salman Rushdie auch nie leiden, aber er hat überdies noch schlechte Bücher geschrieben, und das ist für mich das eigentliche Vergehen eines Autors. Einen packenderen Roman als das Plaidoyer d’un fou in der Strindberg-Zeit soll mir dagegen erstmal jemand zeigen. Ob der Autor persönlich ein Kotzbrocken oder Haderlump war, ist mir herzlich nebensächlich, ich will gute, spannende Literatur lesen, und die hat Strindberg reichlich geliefert. Also ja: Lest die Klassiker, genauer ihre Werke (und nicht ihre Biografien)!
Daß Strindberg ein Haderlump war, behaupte ich ja auch gar nicht, aber seine durch keinerlei Fachwissen getrübten Ausfälle gegen Montelius lassen ihn Maulschellen en masse verdienen. Ich finde auch die Stelle nicht, wo ich behaupte, daß ich ihn „auch nie leiden mochte“, ich hab ihn sogar sehr geschätzt, bis ich auf seine Äußerungen über Montelius stieß.
Ach so, daß Strindberg nur in Sachen Montelius blöd war, hatte ich nicht kapiert, und die andere Äußerung („auch nie leiden…“) stammt aus der Zuschrift von Christine Vogeley. Sind wir uns also wieder gut, liebe Gabriele, und greifen in sonntäglicher Ruhe ins Klassikerregal. Laxness könnte doch auch mal wieder Vergnügen bereiten (zumal ich gestern den isländischen Film „Hrútar“ (dt. Titel „Sture Böcke“) gesehen habe; empfehlenswert 😉
Oh, Lutz, wo sahst du den Film? Ich würd auch so gern, hab so lange keine Laxness-Verfilmungen mehr gesehen …
Gesehen habe ich ihn im letzten verbliebenen Göttinger Programmkino, das gerade ein kleines Festival zum Nordischen Film veranstaltet. Derselbe Film war auch Eröffnungsfilm der Nordischen Filmtage in Lübeck und hat dort einen Preis gekommen. Dürfte also weiter durch deutsche Programmkinos tingeln. Eine Laxnessverfilmung ist es übrigens nicht, aber besser als das, was der etwas sparsame Trailer verheißt ist er auf jeden Fall: https://vimeo.com/129686584
Ach, das ist mal wieder hinreißend geschrieben, Frau Haefs. Und animiert mich zehnmal mehr als irgendwelche Hochglanzbilderbücher über Schweden. Und Strindberg konnte ich auch nie leiden. Wird bestellt. Beim Buchhändler.