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Lest die Klassiker VI – Ida Bohatta Morpurgo

Beim Übersetzen kommt es immer wieder vor, daß wir Gedichte übersetzen müssen. Ich meine jetzt nicht Lyrik, sondern in Romane eingestreute Kinderverse, Geburtagsdichtungen, Spottverse. Beim Versuch des Nachdichtens gibt es natürlich hervorragende Vorbilder auf Deutsch: Wilhelm Busch, den „Struwwelpeter“, „Lurchi“ – und Ida Bohatta Morpurgo.

„Keiner kennt den Namen“, schrieb vor Jahren einer von diesen jungen Schnöseln, die bei der TAZ anfangen und bei Springer enden, und er hatte doppelt recht. Weil er sich über „Ida Bohatter“ verbreitete und weil er nach echter Schnöselmanier gar nicht auf die Idee kam, auch Frauen könnten die TAZ lesen, weshalb er in männlicher Form schrieb. Gut, Herr Schnösel, „keiner“ mag Ida Bohatter kennen, Ida Bohatta Morpurgo kennt so manche. (Er hatte sie übrigens nicht gelesen, sondern nur ein Bild gesehen und sich den Rest gedacht, „Kindergartentante“, so sein Urteil.)

Sichtbar viel gelesen: Ida Bohatta Morpurgos Handbuch für den politischen Alltag
Sichtbar viel gelesen: Ida Bohatta Morpurgos Handbuch für den politischen Alltag

Meine erste Begegnung mit ihr und ihrem Werk liegt ewig zurück, ich lernte gerade Lesen, buchstabierte mich mühsam durch den Namenszug und hätte fast aufgegeben. Bohatta Morpurgo – kann jemand so heißen? Aber ich tröstete mich damit, daß ich ja noch nicht richtig lesen könnte, wenn ich es erst richtig gelernt hätte, würde ich schon begreifen, wie sie wirklich hieß und was ich falsch gemacht hätte. Heutige Kinder müssen vor solchen Abenteuern beim Lesenlernen offenbar beschützt bleiben, neuerdings erscheinen ihre Bücher als die von Ida Bohatta, und das lange, nachdem sie (1900–1992) als Ida BM ins Grab gesunken ist und nichts darauf hinweist, daß es da einen Herrn Morpurgo gab, dessen Namen sie besser spät als nie loswerden wollte.

Also, um das mal klarzustellen: IBM reimte hinreißend und zur Not auch ohne jegliche Hemmung, und sie schrieb … tja, auch hinreißend. Und folgenreich. Das Buch, an dem ich also erste Leseversuche unternahm, hieß „Der verkannte Bimpfi“. Dramatische Sache, ein Giftmord geschieht, Bimpfi gerät in Verdacht, weil er gerade an der falschen Stelle herumstand. Er wird festgenommen, in Isolationshaft gesteckt, darf sich nicht verteidigen, kriegt keinen Rechtsanwalt gestellt, nix. Wer mit „Bimpfi“ aufgewachsen war und dann fünfzehn Jahre später das Wort „Bullenterror“ hörte, wußte sofort, was Sache war. Bimpfis Freund aber sagt sich, so nicht, den holen wir raus. Ein Ausbruch wird vorbereitet, Bimpfi taucht in einer konspirativen Wohnung unter, und dann ändert sich die politische Großwetterlage und der wahre Schuldige, der böse Knolli, verrät sich in seiner Hybris selbst. Gibt es für Bimpfi Entschuldigungen, Entschädigungen, auch nur ein Schulterklopfen? Nix. Was hat er auch verdächtig auszusehen und an der falschen Stelle rumzustehen? Staatliche Willkür wie im Bilderbuch. Oder eben: im Bilderbuch. Und das gereimt.

Bimpfi„Freundschaft, fest und treu gehalten, zeigt sich in gar viel Gestalten. Ist der gute Freund in Not, zeigt sie sich als Stücklein Brot. Ist der Freund in einem Kerker, der verriegelt und so weiter, zeigt sie sich als eine Feile und als eine lange Leiter.“

Die Generation, die mit diesem Buch lesen lernte, mußte doch im Sympathisantensumpf landen?

Kein Wunder, daß bei den Neuauflagen der Werke von „Ida Bohatta“ der Bimpfi nicht mehr zu finden ist. Kein Wunder, daß für alte Exemplare teilweise hohe Summen geboten werden. 58,50 Euro, z.B., wie ich gerade mal eben kurz ergoogelt habe. Das sicherlich ebenfalls reimtechnisch hervorragende, politisch aber weniger lehrreiche „Fritz Osterhas und Sohn“ ist schon für 65 Cent im Angebot!

Fotos: Gabriele Haefs

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

3 Gedanken zu „Lest die Klassiker VI – Ida Bohatta Morpurgo“

  1. Wunderbarer Artikel, und ich kenne die Autorin ebenfalls seit meiner Kindheit. Die Bücher sind nicht nur ein Lesegenuss, sondern insbesondere wegen der liebevollen Zeichnungen auch ein Augenschmaus – auch, wenn viele die Bilder sicher als Kitsch empfinden. Immerhin begann Ida Bohatta Morpurgo ihre Karriere als Kinderbuchillustratorin. Sie hatte die Kunstgewerbeschule in Wien besucht.

    Den hohen Preis für das subversive Werk über Bimpfi (herrlich, die Beschreibung!) kann ich nach schneller Recherche übrigens nicht bestätigen. Beim ZVAB wird unter anderem eine gebrauchte Ausgabe ohne Angabe des Erscheinungsjahres für 11,80 € angeboten. Und beim großen Buchversand mit dem A, den wir ja eigentlich nicht unterstützen wollen, gibt es gar eine gebrauchte Neuauflage von 1980 für 6,98 €.

    Der Indoktrinierung des heutigen Nachwuchses steht also nichts im Wege 😉

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