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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 18: Wenn Dichter zu gut Deutsch können

Eine Frage kommt immer, wenn irgendwo Übersetzungen vorgestellt werden. Jemand im Publikum fragt: Haben Sie bei der Arbeit Kontakt zum Autor? Und die Antwort ist: Ja, unbedingt. Wenn es geht. Es geht natürlich nicht, wenn wir eine längst verstorbene Klassikerin übersetzen. Oder wenn der schwedische Bestsellerautor die Fragen nicht selbst beantwortet, sondern das seiner Agentin überlässt, die leider keine Zeit hat, im Buch nachzusehen. Aber fast immer freuen sich die AutorInnen und antworten auch gern. Und oft genug treffen wir welche, die es traurig finden, wenn ihr Übersetzer sich nie meldet („Wieso hat der denn nie Fragen?“) – Ich will hier keine Spekulationen aufstellen, aber nach meiner Erfahrung sind es immer Männer, die sich nicht bei ihren Autoren melden; ein solcher hat mir sogar einmal gesagt, daß er nicht daran denkt, sich eine Blöße zu geben und dem Autor den Eindruck zu vermitteln, er wisse nicht alles selbst.

Aber um solche Leute soll es hier nicht gehen, sondern um Autoren, die glauben, sie könnten Deutsch. Man sollte meinen, es sei die Idealsituation, wenn die Autorin Deutsch kann, viel einfacher, Problemstellen zu klären. Das dachte ich auch, bis ich an die Autorin GB geriet. Ich hatte einige Fragen, verstand einen Zusammenhang nicht, ein seltenes Wort, war das hier ein Druckfehler … es war einer, was mir den ersten Rüffel der Dame eintrug, ich müsste ja wohl sehen können, daß es ein Druckfehler sei, statt so blöde Fragen zu stellen und ihre Zeit zu stehlen. Und dann ging es los, was das überhaupt für Fragen seien, wenn ich die nicht beantworten könnte, sollte ich lieber gar nicht übersetzen. Im nächsten Kapitel dagegen, da seien Probleme, und wenn ich das nicht bemerkt hätte, sollte ich erst recht nicht übersetzen. Also, die Frau konnte zwar Deutsch, aber so weit kamen wir gar nicht erst. Anders als der Autor, der das Wort „Geschehnis“ nie gehört hatte und verlangte, daß ich „Ereignis“ schrieb, und alle Erklärungen des feinen Unterschiedes halfen nix. Er bestand auf dem Ereignis und ich dachte, … nein, was ich dachte, mag ich nicht aufschreiben. Ein anderer hatte über „stetiges Wachstum“ geschrieben, auf Norwegisch natürlich, und fand diese Übersetzung nicht gut, denn das Wort „stetig“ gebe es doch nicht, es gebe nur „ständig“. Aber hier half das Winken mit Wahrig und er sagte zufrieden: „Ach, ein neues Wort gelernt!“

Autorin (rechts) und Übersetzerin (links) freuen sich über das Wort Schweinezüchter – Foto © privat

Manche finden es wunderbar, ein neues Wort zu lernen. Wie Anne B. Ragde, unbedingt eine meiner Lieblingsautorinnen. Noch ehe ich auch nur eine Zeile ihres Romans (der dann auf Deutsch „Das Lügenhaus“ hieß) übersetzt hatte, fragte sie, wie denn „grisebonde“ zu übersetzen sei, der Beruf der Hauptperson. „Schweinezüchter“, sagte ich. „Schweinezüchter“, jubelte Anne. „Schweinezüchter!“ Sie konnte sich gar nicht mehr einkriegen, und immer, wenn wir uns jetzt begegnen, ruft sie „Schweinezüchter“ und prustet los. Leider sind Autorinnen wie sie eher eine Seltenheit!

Anne B. Radge, Das Lügenhaus, Roman, btb, aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele HaefsGanz schrecklich ist zum Beispiel der Autor, der sagt, oh, her mit der Übersetzung, ehe sie in Druck geht, denn er kennt mehrere Leute, die gut Deutsch können, die sollen alles erst mal lesen und sagen, was sie davon halten (es gibt aber immer Mittel und Wege, die zu vielen Köche aus der Sache rauszuhalten, zur Not mit Grobheit und Hilfe des Verlages).

Meistens allerdings nehmen sie Vernunft an, wie die Autorin, die wollte, dass ein kalvinistischer Geistlicher in ihrem Buch auf Deutsch „Grüß Gott“ sagen sollte. Sie hatte diesen Gruß in München gehört, fand ihn chic und meinte, so könnte ihr Prediger zeigen, dass er nicht ganz so spricht wie die feinen Leute um ihn herum. Aber sie ließ sich überzeugen, daß „Grüß Gott“ ein katholischer und zudem regional bezogener Gruß ist, und daß Kalvinisten nie und nimmer so reden.

Alles nicht so schlimm, könnte man also meinen, aber das kann es eben doch sein. Das hier ist eine wahre Geschichte, zum Glück nicht mir passiert. Eine Kollegin übersetzte einen Schweden, der auch gut Deutsch konnte. Gut Deutsch zu können behauptete. Sie hatten auch einen netten Kontakt, während sie übersetzte, dann war sie fertig, irgendwann erschien das Buch, Exemplare wurden nach Schweden geschickt. Und der Autor erschien bei seinem schwedischen Verlag und tobte. Die Übersetzung sei ja sowas von grauenhaft und falsch, das Buch müsse sofort vom Markt genommen und neu übersetzt werden. Verlangte er. Der schwedische Verlag wandte sich an den deutschen und verlangte Satisfaktion, Entschuldigungen und eine neue Übersetzung. Irgendwann kam dann jemand auf die Idee, die Übersetzerin zu informieren. Die konnte sich das nicht erklären, es war ja nicht ihr erstes Buch, und sie tat das, was der schwedische Verlag hätte tun müssen: Sie bat um eine Fehlerliste, dann könne man weitersehen.

Die Fehlerliste kam, aber sie enthielt nur ein Wort. Der Schwede, der so gut Deutsch zu können glaubte, hatte das Wort „Sonnabend“ nicht gekannt. Er hatte es für ein Synonym von „Sonntag“ gehalten, und bei einem so krassen Fehler sei ja wohl klar, daß die ganze Übersetzung nichts tauge, niemand könne von ihm verlangen, daß er das ganze Machwerk lese, und was die Übersetzerin sich eigentlich einbilde, hier auch noch Forderungen zu stellen? „Wenn man nicht mal die Wochentage auseinanderhalten kann, soll man ja wohl die Klappe halten.“

Damit war der Fall geklärt, die Ausgabe blieb auf dem Markt und alle beruhigten sich wieder, nur wir anderen hatten ein abschreckendes Beispiel und denken seitdem: Wie eigentlich, wenn eine Autorin kein Deutsch kann. Was der Schwede für ein Gesicht gemacht hat, als ihm die Sachlage erklärt wurde, ist nicht bekannt. Bekannt dagegen ist, daß er der Übersetzerin niemals zur Buße Blumen oder schwedisches Marzipan geschickt hat, niemals auch nur ein Brieflein mit einer Bitte um Vergebung für sein ungerechtfertigtes Geschrei. Aber das ist vielleicht nur folgerichtig? „Wenn man nicht mal die Wochentage auseinanderhalten kann, soll man ja wohl die Klappe halten.“

Wer hat denn ähnliche Erfahrungen gemacht?

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

2 Gedanken zu „Meine Abenteuer beim Übersetzen, 18: Wenn Dichter zu gut Deutsch können“

  1. Zu widersprechen gibt es eigentlich nichts, traue ich mich zu schreiben – fünf Jahre zu spät. Auf Facebook bzw, Meta bin ich schon lange nicht mehr, Twitter/X umfahre ich weiträumig. Aber ja, wenn ausländische AutorInnen Deutsch zu kennen glauben oder im Bekanntenkreis jemand eine deutsche Oma hatte, beherrschen sie das Idiom natürlich besser als jede:r MuttersprachlerIn.
    Zu „Grüß Gott“ kann ich auch was erzählen. Eine ungarische Übersetzerin, die in der DDR studiert hatte und oft ihre Schwester in München besuchte, berichtete empört, diese Kommunisten in der DDR grüßten doch tatsächlich mit „Guten Tag!“ So was aber auch.

  2. Nachdem Gabrieles Beitrag nach der Veröffentlichung vor 14 Tagen in kürzester Zeit und anhaltend sehr viele LeserInnen fand, wunder ich mich, dass bisher niemand kommentierte. Auf Facebook wurden ähnliche Erfahrungen bestätigt. Einen Widerspruch gab es noch nicht. Traut sich keine/r?

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