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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 20: Was bei Lesungen so alles passieren kann

Es ist gerade so eine Zeit, wo viele Anfragen wegen Lesungen kommen. Und das ist doch nett: man kommt rum, lernt nette Leute kennen, kann ein paar Bücher verkaufen, und ein bißchen Geld gibt’s auch. Aber es gibt ungeahnte Tücken, und noch die schönste Lesung kann vergällt werden. Angenommen, es sollen Autor und Übersetzerin lesen, aber der Autor ist nicht sehr beweglich. Es muß also barrierefrei sein, erkläre ich. Ja, kein Problem, sagt die Buchhandlung, der ganze Laden ist barrierefrei. Daß die Toilette aber in einem Hinterhaus liegt, drei steile Treppen hoch, wurde nicht erwähnt – doch soll der arme Autor dann mehrere Stunden in dem Wissen verbringen, im Notfall keine Toilette aufsuchen zu können, folglich keinen Schluck trinken zu dürfen, aber charmant und noch die absurdesten Fragen aus dem Publikum freundlich zu beantworten? – Das sind nur einige Beispiele für erstaunliche Erlebnisse bei Lesungen, die die Frage aufkommen lassen, ob Lesungen wirklich so nett sind, wie man leicht glauben kann.

Buchhandlungen, bei denen immer alles wunderbar läuft
Die andere Buchhandlung, Rostock – Foto © privat
Buchladen Roter Stern, Marburg – Foto © privat
Buchladen von Cló Iar-Chonnacht, Connemara – Foto © privat
Jussi Krimi-Buch-Café, Hamburg, Gabriele Haefs mit Publikum – Foto © privat

Was ist von der Buchhändlerin zu halten, die vorher anfragt, welche Bücher sie besorgen soll, auf welche der Gast also zu sprechen kommen wird – und die dann erklärt, sie habe keine Lust gehabt, diese Bücher zu besorgen, wer die kaufen will, kann ja am nächsten Tag in den Laden kommen und bestellen? Oder dem Buchhändler, der wegen großen Andrangs die Lesung in die Aula der benachbarten Schule verlegt – der Autor hatte um eine Flasche Rotwein gebeten, die zur Lesung auf dem Podium stehen soll. Auf dem Podium stand Wasser, und zwar schon sehr lange. Nach der Lesung kam der Buchhändler und überreichte uns den Rotwein, er habe nicht gewußt, wer in der Schule für das Öffnen von Rotweinflaschen zuständig sei. Auch eine Buchhändlerin, die übellaunig erklärt, sie werde bei der Lesung (in einem Literaturhaus) einen Büchertisch machen, und sogar Bücher des lesenden Autors auslegen, „wenn Sie unbedingt darauf bestehen“, macht nicht wirklich Lust auf diesen Abend.

Nur selten aber erreichen die Bizarrerien solche Höhen wie diese. Also, ein Buchhändler ruft an, hätte gern eine Lesung mit mehreren Leuten, das muß also alles besprochen werden. Da ich ohnehin eine Woche später in der Gegend sein werde, schlage ich vor, vorbeizukommen, dann könnten wir das in Ruhe planen. Gute Idee, meint der Buchhändler, aber lieber nicht im Laden, da hat man keine Ruhe, und wir werden also für Samstagabend zur Buchhändlerfamilie nach Hause eingeladen (wir, weil ich nicht allein in der Gegend sein werde und diesen Abend eigentlich schon verplant hatte). Wir überlegen, was bringt man mit, finden ein seltenes Buch einer der Personen, die er gern zu der großen Mehrfachlesung hätte, denken, darüber muß sich ein Buchhändler doch freuen.

Doch derselbe würdigt das Geschenk keines Blickes, sondern erklärt grantig: „Das war wirklich nicht nötig, es ist ja schließlich keine offizielle Einladung“, und legt es weg. Ich komme gar nicht dazu, zu überlegen, wie wohl eine offizielle Einladung aussieht, als er auch schon hinzufügt: „Ich hoffe, Sie haben gut gegessen.“ Hatten wir nicht. Samstagabend! Gibt es auf der Welt einen Ort, wo man für Samstagabend Leute zu sich nach Hause einlädt, ohne ihnen auch nur eine Suppe vorsetzen zu wollen? Wir halten das natürlich für einen Witz, und ich sage fröhlich: „Nein, natürlich nicht.“ Das war falsch, wir hätten sagen müssen: „Ach, verdammt, das haben wir doch glatt vergessen. Wir gehen jetzt erst mal in die Pizzeria gegenüber und kommen dann in einer Stunde wieder.“ Zu spät. Der Buchhändler schaut noch grantiger drein, führt uns in die Küche, und da sitzen wir dann, mit Buchhändler und Buchhändlerin, und es gibt – Schnaps. Sonst nichts. Immerhin Schnaps aus der Brennerei um die Ecke, also gewissermaßen themenbezogen.

Wir nippen zaghaft am Schnaps, während der Buchhändler einen langen Vortrag darüber hält, wie wunderbar sein Wohnort ist und wie froh wir sein dürfen, da demnächst eine Lesung machen zu können. Und dann sollen wir übrigens bei ihm übernachten, denn er hat im Keller einige Gästezimmer. (Ich stelle mir noch heute vor, wie die unglücklichen AutorInnen, die bei ihm lesen, dort eingesperrt und bei Schnaps und trockenem Brot – wenn sie Glück haben – ihr elendes Leben fristen müssen). Erlösung brachte ein Nachbar, der klingelte und eine Frage zur offenbar gemeinsam benutzten Doppelgarage hatte. Die Gelegenheit nutzten wir, um für den netten Abend zu danken, aber wir müßten jetzt wirklich ganz schnell weiter. Der Buchhändler dankt für den Besuch, ohne uns auch nur eines Blickes zu würdigen, und verspricht (es klang natürlich wie eine grausame Drohung), sich spätestens in drei Wochen wegen der Lesung zu melden.

Daß die Pizzeria gegenüber geschlossen war, als wir ausgehungert aus dem Buchhändlerhaus flohen, braucht sicher nicht erwähnt zu werden (aber im Ort gab es noch andere Lokale). Daß der Buchhändler sich nie mehr gemeldet hat, auch nicht. Ich war seither noch zweimal dort, habe immer vorsichtig in seinen Laden gespinkst, aber nie war er dort zu sehen. Macht nichts, ist Vergangenheit. Jetzt aber, wie gesagt, häufen sich die Anfragen zu Lesungen.

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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