Die Überschrift ist vielleicht irreführend, die Geschichte hat durchaus einen Namen, nämlich: „Die dritte Frau“. Aber zuerst, wichtig!, der Zusammenhang. Die Älteren unter uns, jedenfalls die aus Hamburg, erinnern sich vielleicht … vor vielen Jahren hatte Volker Albers, der Krimiexperte vom Hamburger Abendblatt, die geniale Idee der „Schwarzen Hefte“. Die waren schön klein, passten in die Jackentasche, boten genug Lektüre für eine Bus- oder U-Bahnfahrt, es gab sie überall dort, wo es HVV-Fahrkarten gab, und natürlich beim Abendblatt und in Buchläden. Jedes Schwarze Heft kostete 5 DM (und am Ende irgendwas in Euro), und alle stammten sie von Autor*innen, die in Hamburg lebten und über Hamburger Verbrechen schrieben.
Woran wir schon sehen, dass es da nicht viel zu übersetzen gab. Ein Schwarzes Heft aber war im Original auf Norwegisch geschrieben worden, und, aufregend, es war in Norwegen noch gar nicht erschienen. Streng genommen war es noch nicht richtig fertig, die meisten Personen hatten nämlich keine Namen. Der Held hieß Victor von Falck, bereits bekannt durch den in St. Georg spielenden Krimi „Die mechanische Frau“, und einige der Personen, bei denen er mit seiner Ermittlung anfing, hießen auch irgendwie. Der Rest hieß X oder … „Hier“, sagte der Autor, „ist die Geschichte, kannste übersetzen, aber Namen musst du dann finden.“ Und dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Ein Mannsbild, das „vor Proteinen und Selbstsicherheit nur so strotzt“? Willi Mannhardt. Ich glaube, ich wusste schon damals nicht, was der arme Wilhelm Mannhardt, dem wir DAS Standardwerk über Erntemythen und -brauchtum verdanken, mit dem Platzhirsch zu tun hatte, aber egal. Die beiden gehen in eine Kneipe? Ohne Bedenken wurde dieselbe „Riehlstuben“ getauft (Wilhelm Heinrich Riehl: Die Volkskunde als Wissenschaft, 1857, wer könnte das vergessen?) Es kam leider kein Brüderpaar vor, also musste ich auf Jacob und Wilhelm verzichten, aber eine gütige Lehrerin namens Hoffmann-Krayer machte sich doch gut? Und ein Wolfram Steinitz (ab und zu eine kleine Variation beim Namen ist nicht schlecht). Es war überaus entmutigend, dass die Schwarzen Hefte eigentlich sehr dünn waren, ich hätte noch mindestens zwei Dutzend wunderbarer volkskundlich relevanter Namen aus dem Ärmel schütteln können … ein Hans Moser hätte sich doch zu gut gemacht, es gab aber keine passende Rolle für diesen hochverehrten Folklorismusforscher.
Ich war ganz gespannt, ob jemand etwas merken würde. Und ja, es wurde bemerkt, das Seminar für Volkskunde an der Universität Hamburg kaufte hundert Stück als Geschenke für Leute, die dort in den folgenden Jahren einen Vortrag hielten.
Danach hoffte ich noch lange auf eine weitere Chance. Ein Schwarzes Heft, in dem ich Namen aus der Sprachwissenschaft unterbringen kann. Den rachsüchtigen Mörder Julius Pokorny, den edlen Wohltäter Kuno Meyer, den zerstreuten Gelehrten Rudi Thurneysen, den eleganten Henri d’Arbois de Jubainville und natürlich endlich den über alle Zweifel erhabenen, unschuldig in Verdacht geratenen, aber vom vortrefflichen Victor von Falck freigeboxten Jacob Grimm. Aber nix. Die Schwarzen Hefte wurden nach Band 63 (2005) eingestellt.
Aber jetzt sind sie wieder da, vielmehr: Es gibt einen Auswahlband mit ausgewählten Schwarzen Heften, „Alstertod und Hafenmord“, und ich zitierte aus der Verlagsankündigung:
Dieses Lesebuch versammelt in einem »Best-of« fünfzehn Geschichten aus den »Schwarzen Heften« und versetzt die Leser zurück in die Zeit um den Jahrtausendwechsel, als es noch ein Leben ohne Handys und Laptop gab und die polizeiliche Ermittlungsarbeit wie das Leben insgesamt geruhsamer vonstattenging.
Und Victor von Falck samt Mannhardt, Riehl und Grimm und vielen anderen ist auch dabei, in der Geschichte „Die Dritte Frau“ von Ingvar Ambjørnsen. „Alstertod und Hafenmord“, im Junius Verlag.
Ein Beitrag von Gabriele Haefs zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig