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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 29: Ich übersetze eine Nobelpreisträgerin

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter – Der Kranz, Übersetzerin Gabriele Haefs, Kröner Verlag, 1. Auflage 2021, 382 Seiten, Halbleinen, ISBN 978-3-520-62101-6
Nobelpreisträgerin Sigrid Undset
Foto: 1928

Eine Literaturnobelpreisträgerin übersetzen, das macht unsereine nicht alle Tage, klar, gibt ja auch nicht sehr viele. In Norwegen z.B. exakt eine – allerdings auch nur zwei mit diesem Preis ausgezeichnete Männer, also doch kein schlechter Prozentsatz. Die Rede ist von Sigrid Undset (1882 – 1949) und ihrem Romanzyklus „Kristin Lavranstochter“.  Es geht darin um die Bauerntochter Kristin, die von ihrem Vater mit einem standesgemäßen jungen Mann verlobt wird, wie es im 14. Jahrhundert eben Sitte ist. Und Kristin hat auch gar nichts gegen ihren Bräutigam einzuwenden. Schön ist Simon nicht, aber zuverlässig und bereit, Kristin zu lieben und alles für sie zu tun, komme, was wolle. Seine Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen, hat der arme Simon über 1000 Seiten lang Gelegenheit, vor allem, nachdem Kristin sich eine andere Ehe ertrotzt hat, mit Erlend Nikulaussohn, der alles ist, was Simon nicht ist. Erlend schön, ein Verschwender, unzuverlässig, aber so charmant, und auch er liebt Kristin (und für seine Seitensprünge hat er immer Entschuldigungen, die ihn zumindest vollkommen überzeugen). So weit, so dramatisch, und während Simon also ein ums andere Mal den Retter spielen muss und sogar sein Leben aufs Spiel setzt, um das von Erlend zu retten (der zu schusselig ist, um seine Beteiligung an einer Verschwörung gegen den König für sich zu behalten), sitzt die Übersetzerin da und grübelt.

Wie übersetze ich was – die unendlich vielen Adelstitel und Ämter, die es im 14. Jahrhundert in Norwegen gab? Die Beinamen, die ausschweifenden Verwandtschaftsbezeichnungen, in einer Gesellschaft, in der die Sippe alles war? Wie arm ist doch das Deutsche an Verwandtschaftswörtern! Im heutigen Norwegisch gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für Tante und Onkel mütterlicherseit, oder für Vettern zweiten und dritten Grades, um nur ein paar zu nennen. Und Tante und Onkel überhaupt – sind das nicht zu moderne Wörter, erst viel später aus dem Französischen importiert? Die hundert Jahre alte erste Übersetzung ins Deutsche behilft sich mit „Oheim“ und „Muhme“, aber eigentlich waren diese beiden Verwandte mütterlicherseits, wobei nicht mal Grimms Wörterbuch verrät, die die Gegenstücke auf Vaters Seite hießen. Und jedenfalls klingt es furchtbar archaisch, und die vornehmen Ritter im Roman begrüßen einander auf Französisch. Also, Erlends zauberkundige Tante kann Tante bleiben. Wobei die Frage ist – wenn Tante nicht zu modern ist, was wäre dann zu modern? Natürlich sagt Erlend nicht zu Simon: „Was hast du für eine geile Gugel in deinem Kothardi?“ (Die beiden kleiden sich nämlich immer entsprechend der aktuellen Mode für den Mann von Welt) – andererseits, wieso eigentlich nicht? Aber irgendein Bauchgefühl sagt einfach „halt“, wenn ein Wort zu modern wirkt, ohne dass ich es im einzelnen begründen könnte.

Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter – Der Kranz, Übersetzerin Gabriele Haefs, Kröner Verlag, 1. Auflage 2021, 382 Seiten, Halbleinen, ISBN 978-3-520-62101-6Sigrid Undset hat ihre Trilogie in den 20er Jahren geschrieben, in der für sie typischen eher nüchternen Sprache. Das ist jedenfalls eine Richtschnur, und ich versuche nach bestem Wissen und Gewissen, die sachliche Undset-Sprache nachzuempfinden. Obwohl es natürlich immer wunderbar ist, mit einem Text zu tun zu haben, in dem geihrzt wird (im Original: „I“, im Gegensatz zum später auch in Norwegen eingeführten bürgerlichen „De“, was „Sie“ entsprecht.) Die alte Übersetzung ist übrigens keine große Hilfe: Oft fehlen die schwierigen Stellen einfach, noch häufiger aber wurden Spitznamen, Amtsbezeichnungen, Adelstitel usw. gar nicht erst übersetzt, sondern beibehalten. Und zwar in dänischer Schreibweise. Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber ich habe den Verdacht, dass die damals nicht aus dem Norwegischen übersetzt haben, sondern eben aus dem Dänischen, und die Vorstellung, vielleicht die erste direkte Übersetzung anzufertigen, ist schon umwerfend.

Die alte Übersetzung, die auch noch im 21. Jahrhundert immer wieder aufgelegt wurde, hat allerlei Amüsantes zu bieten! Die Druckfehler z.B., die auch in der 25. Auflage nicht korrigiert wurden: „Gegen dieses Leiden helfen weder Kräuter noch Ruinen“, spricht der heilkundige Mönch. Im Original waren es Runen … Dabei gibt es trotz aller Leidenschaften, Verschwörungen, trotz Verrat und Eros ohnehin viel zu lachen, denn auch solche Szenen gehörten im 14. Jahrhundert zu Sitte und Brauch der vornehmen Welt: „Als sie die Kammer betraten, lag Frau Elin, Herrn Erlings Gattin, mit einem schwedischen Ritter im Bett, sie sprachen über die Ohrenschmerzen des Königs – der Schwede sah erleichtert aus, als Frau Elin aufstehen und zurück in die Halle gehen wollte.“

Ein Beitrag von Gabriele Haefs zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig

2016 schrieb Gabriele Haefs mit vorausschauendem Blick auf die Frankfurter Buchmesse 2019, auf der Norwegen inzwischen wie damals angekündigt Gastland war ihr 8. Abenteuer: „Deshalb suche ich jetzt Lieblingsautorinnen heraus, deren Bücher unbedingt (wieder)übersetzt werden müssen, lese mich fest und vergesse darüber die aktuelle Arbeit. Ich finde, das ist eine hervorragende Vorbereitung, und bis 2019 dauert es ja auch noch eine Weile, bis dahin kann ich ganz viele Lieblingsautorinnen lesen!“ Sigrid Undset ist eine davon …


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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