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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 32: Noch eine Klassikerin

Camilla Collet (1813–1895) – Lithographie nach einem Gemälde von Johan Gørbitz, Quelle: Wikimedia
Amalie Skram (1846–1905) – Fotograf/in unbekannt, Quelle: Wikimedia

Über diese Klassikerin konnte ich schon einmal hier schreiben, nämlich in Folge 7 am 2. Mai 2016. Es geht um Amalie Skram, und alles weitere ist in der früheren Folge nachzulesen. Naja, nicht alles. Meine erste Begegnung mit dieser großen Autorin z.B. nicht. Das war noch zu Studienzeiten, angekündigt wurde ein Seminar über feministische norwegische Autorinnen. Es ging los mit Camilla Collett, die den ersten Roman in norwegischer Sprache und den ersten feministischen geschrieben hat, schon mal eine wunderbare Bekanntschaft. Leider hat sie danach nur noch Essays, kurze Erzählungen und Erinnerungen geschrieben. Wer sie kennenlernen möchte: In dem Buch „Sagenhafte Geschichten“ ist eine Erzählung von ihr, „Sara“, übersetzt von Anke Strunz. Nr. 2 war Amalie Skram, wir lasen den Roman „Constance Ring“, bis heute eins meiner absoluten Lieblingsbücher. Ziemlich am Anfang steht der Satz „Ring ärgerte sich, weil seine Frau nicht wie eine glückliche Ehefrau aussah, und deshalb ging er zu ihrer Tante und beklagte sich“, und der ist bezeichnend für Amaliens Umgang mit ihren Personen. Selbst die allergrößten Trottel dürfen auf Humor und Mitgefühl rechnen, so lange sie es nicht übertreiben.

Amalie Skram: Die Leute vom Hellemyr, Band 1-4, Guggolz 2022
Guggolz 2022, aus dem Norwegischen Band 1 und 3 von Christel Hildebrandt, Band 2 von Nora Pröfrock, Band 4 von Gabriele Haefs

Herr Ring übertreibt dann, aber darauf wollen wir hier nicht eingehen, es geht hier schließlich um ihr Hauptwerk „Hellemyrsfolket“, wörtlich übersetzt: „Die Leute vom Felsenmoor“, aber dieses Moor gibt es wirklich, in der Nähe der norwegischen Stadt Bergen, also wäre es nicht richtig gewesen, diesen Namen zu übersetzen. Fragen nach dem „wie übersetzen“ tauchten unterwegs immer wieder auf. Es ist ein gewaltiges Epos in vier Bänden, über 1200 Seiten, weshalb sich gleich drei Übersetzerinnen ans Werk machen konnten. Mein Anteil ist Band 4, „Die nächste Generation“, die dritte, deren Geschichte erzählt wird, arme Fischersfamilie, reiche Kaufmannsfamilie, deren Wege einander immer wieder kreuzen. Die Armen möchten hochkommen und irgendwann nicht mehr so arm sein, die Reichen möchten reich bleiben, was viel leichter ist, denn die Verhältnisse sind nicht so, und immer, wenn irgendeine Person aus der armen Sippe es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hat, greift das Schicksal ein (man könnte auch sagen, schlägt die Klassengesellschaft zu) und Schluss ist mit dem Aufstieg. Dass das alles ungerecht ist, ist klar, die Autorin zeigt jedoch keine Lösung auf, gibt nicht vor, überhaupt eine zu wissen, sondern beschreibt, klar, deutlich, mit viel Ironie und zugleich mit viel Verständnis für ihre Personen in ihrem Elend. Denn machen wir uns nichts vor, die Reichen haben auch ihre Probleme … Aber die sollen hier nicht verraten werden! Wie alles, was Amalie Skram veröffentlichte, wurde ihre Romantetralogie zum Skandal. Es gehörte sich einfach nicht, dass eine Dame die Verhältnisse so genau unter die Lupe nahm, die doppelte Moral ihrer Zeit aufs Korn nahm und sich mit aller Welt anlegte. Das Bürgertum war verärgert, weil sie die doppelte Moral kritisierte und das (nicht nur damals) geltende Familienideal kritisierte: Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben, drinnen waltet die züchtige Hausfrau, und waltet der Gatte draußen nicht so züchtig, drückt sie ein Auge zu. Die Bohème war verärgert, weil sie mit dem Ideal der freien Liebe nichts anfangen konnte. Freie Liebe, schön und gut, schrieb Amalie, geht aber erst, wenn Frauen ihr eigenes Brot verdienen können und nicht mehr von einem Mann abhängig sind, ein Ehemann hat seiner Gattin gegenüber immerhin gewisse Verpflichtungen, ein Liebhaber der Geliebten gegenüber aber nicht. Zu allem Überfluss schrieb sie auch noch über Frauen, die Sex wunderbar finden, eine sittsame Kaufmannsgattin, die offen zugibt, gern mit dem Kaufmann ins Bett zu gehen! Damit die Idylle nicht überhandnimmt, wir sind schließlich bei der unvergleichlichen Amalie Skram, weiß der Kaufmann nicht, ob die Quecksilberkur wirklich geholfen hat oder ob er der liebenden Gattin von der Geschäftsreise nach Hamburg eine kleine Syphilis mitgebracht hat. Er hat nicht, aber mehr wird nicht verraten, lest selbst!

Klar, dass es eine gewaltige Arbeit war, dieses umfangreiche Meisterinnenwerk zu übersetzen, klar, dass wir unendlich viele Absprachen treffen und uns immer wieder untereinander beraten mussten, gern beantworten wir endlose Mengen von Fragen nach dieser Arbeit. Es gibt Choräle. Zitate von längst vergessenen Geistesgrößen, Anspielungen auf schon vor hundert Jahren abgerissene Häuser in Bergen, was tun, wie übersetzen, wie überhaupt rauskriegen, was gemeint ist? Und was tun, wenn klar wird, dass die verehrte Amalie auch mal schusselig war beim Recherchieren, und dass ihr offenbar kein fähiges Lektorat zur Seite gestanden hat? Wenn sie z.B. das fromme Gebet eines persischen Sufi aus dem Spätmittelalter als Vers aus einer überaus unfrommen wikingischen Spruchsammlung aus dem Frühmittelalter ausgibt? Welche Lösung wir gefunden haben, wird nicht verraten, lest selbst. Denn wir durften für jeden Band ein ausführliches Vorwort schreiben und auch zu den Problemen der Übersetzung Stellung nehmen, und der Sufi wird natürlich gebührend vorgestellt! Kurzum, ein gewaltiges Werk! Ich meine jetzt das von Amalie Skram, aber wir hoffen natürlich, dass unsere Übersetzung ihr so gerecht wird, wie das eben möglich ist. Dass sich nicht zuletzt durch ihre Bücher dann einiges geändert hat, zeigt sich daran, was die bedeutendste norwegische Autorin der nächsten Generation schrieb. 40 Jahre später erklärt Sigrid Undset (die 1928 als bisher einzige Norwegerin mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde): „Ein junges Mädchen, das heute heiraten möchte, muss eine Familie ernähren können. Alle andere müssen sich mit einem gelegentlichen Liebhaber zufriedengeben.“ Aber über Sigrid Undset folgt an dieser Stelle demnächst mehr. Über Amalie Skram hoffentlich auch.

Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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