Vorwort schreiben … und nichts verraten
Ein Vorwort schreiben und einen Text übersetzen – das hat doch wirklich nichts miteinander zu tun, dachte ich. Das Vorwort muß ich auf Deutsch schreiben, und weil das Buch, das ein Vorwort braucht, auch auf Deutsch geschrieben worden ist, muß ich selber denken – horribile dictu! –, jedenfalls dachte ich das, denn ich kann ja nicht niemanden bitten, mir mein Vorwort zu schreiben, damit ich es übersetzen kann. Aber das Erstaunliche ist, Vorwort schreiben ist auch nicht viel anders als übersetzen. Ich muß mir was denken (und das muß ich auch bei Texten von anderen. Und wie!) und das, was ich mir gedacht habe, in Sprache überführen, so einfach und so schwer ist das.
„Mein“ Buch ist von Hardy Crueger, der furchtbar nervenaufregende Krimis schreibt, aber dieses ist keiner. Es geht um Victor Rosenfels, der als Kind mit seiner Mutter Hamburg verläßt. Wir schreiben das Jahr 1935, und die jüdische Familie erhofft sich ein besseres Leben in den USA. Der Vater will nachkommen, er muß nur noch dies und jenes Geschäft zu Ende bringen und dabei das Geld verdienen, das der Familie einen neuen Anfang ermöglichen soll. Doch der Vater kommt nicht, gibt immer neue Gründe an, warum er doch noch länger in Deutschland bleiben muß, dann schreibt er nicht mehr … Es ist Krieg, Victor verliert auch noch die Mutter und muß sehen, wie er über die Runden kommt. Was er erlebt, könnte glatt zehn Balladen von Woody Guthrie füllen, und Woody Guthrie war für mich sozusagen der Soundtrack beim Lesen.
Das kann ich alles wunderbar in mein Vorwort schreiben. Aber dann? Im Buch kommt es ganz anders, als wir denken, und natürlich ist es die ganz große Frage, ob Victor seinen Vater wiederfindet. Doch dazu darf ich nichts sagen, das wäre ja so, wie bei einem Krimi zu verraten, wer der Mörder ist. Oder bei einer Krimiübersetzung von zwei möglichen Übersetzungen eines Ausdrucks die zu nehmen, die andeutet, wie es am Ende ausgeht. Wenn es wenigstens ein Nachwort wäre! Dann könnte ich mich fast darauf verlassen, daß, wer das Nachwort liest, schon das Buch gelesen hat, und voller Weisheit über den Schluß philosophieren. Geht also nicht – weshalb mein Vorwort zahllose Male gelöscht wurde, und zwar ab „es kommt ganz anders, als wir denken“. Und weil alles ganz anders kommt, als wir denken, war das Vorwort dann irgendwann fertig, und ich war zufrieden und der Autor auch, und die Pointe wurde nicht verraten – wirklich so, als ob sich ein verzwicktes Übersetzungsproblem irgendwann gleichsam von selbst löst, nachdem ich wochenlang in der Warteschlange im Supermarkt und beim Cappuccino im Stammcafé darüber nachgegrübelt habe.
Wer nun will, kann mein schönes Vorwort lesen und sich darauf freuen, wie das Buch weitergeht: Hardy Crueger: Der andere Krieg. Die Odyssee des Victor Rosenfels, Edition Narrenflug, Kiel (seit Ende 2018 nur noch antiquarisch oder bei Amazon im Handel). Ich aber habe das schöne Bewußtsein, ein Vorwort geschrieben zu haben.
Nachwort schreiben … und mehr verraten
Die nächste Herausforderung steht schon bereit: Ich soll eins schreiben. Für eine der wunderbaren und hierzulande viel zu unbekannten dänisch-norwegischen Autorinnen Amalie Skram (1846–1905), das im Frühjahr 2016 in der Übersetzung von Christel Hildebrandt im Guggolz Verlag erscheinen wird. Im Nachwort kann ich also ganz lässig darauf eingehen, wie das Buch ausgeht. Aber es ist kein Krimi und es gibt keinen Mörder, nur einen autoritären Oberarzt und eine Patientin, die sich nicht alles gefallen lässt, und mehr wird hier nicht verraten.
Mein Nachwortbuch: Amalie Skram: Professor Hieronymus, Guggolz Verlag, Berlin
Foto Hardy Crueger – © Geli Stück
Foto Amalie Skram – © ohne, FotografIn unbekannt, Gylendal Norsk Forlag
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig
aktualisiert: 27. Dez. 2022