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Meine Abenteuer beim Übersetzen, 6: Ich habe ein Schneekristall gehäkelt

Schneekristalle häkeln ist nun nicht alltäglich in der Arbeit der Übersetzerin, doch das macht die Herausforderung ja nur größer. Es ging um Übersetzungen für die Zeitschrift LandIdyll, die in schönen Farben berichtet, wie allerlei Leute alte schrottreife Häuser wunderschön restaurieren und einrichten, wie sie Zeit und Geld und einfach alles investieren, und wer die Zeitschrift kauft, kann es nachmachen. Und sei es nur im Kleinen, wenn zum Beispiel eine norwegische Brotbäckerin in ihre Backstube führt und sogar  Tipps gibt. Die allerdings auch nicht richtig helfen. „Nehmen Sie genug Milch“, schreibt sie, „heizen Sie den Backofen lange genug an“, „wenn das Brot innen klitschig ist, war es nicht lange genug im Backofen“. Was ist „genug“, denkt die verwirrte Übersetzerin, aber Kontakt zu den interviewten Personen aufzunehmen, ist in den meisten Fällen unmöglich.

Manchmal schreiben diese Leute (oder die, von denen sie interviewt werden, im Auftrag der Zeitschriften, wo diese Berichte zuerst erschienen sind) einen unmöglichen Stil: „Unter den Wänden in diesem Zimmer sind zwei Wände lindgrün gestrichen.“ Anders als mit dem „genug“ kann ich hier stillschweigend korrigieren, und das ist gut so. Aber die wahre Herausforderung kam also mit der Weihnachtsnummer. Verpacken Sie die Geschenke schön, am besten mit selbstbedrucktem Papier, oder zumindest mit Papier aus auserlesenen Boutiquen in Oslo, wurde geraten. Und richtig weihnachtlich wird es dann, wenn Sie auf das auserlesene Papier ein selbstgehäkeltes Schneekristall legen. Es war eine unbeschreiblich unbegreifliche Beschreibung dabei. Und ein Bild. Der Vergleich von beidem ergab, daß die Beschreibung einfach nicht stimmen konnte. Doch da war eben das Bild. Häkeln habe ich auf der Volksschule gelernt (die hieß so, so lange ist es her), bei Fräulein Österlin, denn damals wurden alle Lehrerinnen mit Fräulein angeredet, egal, ob alt oder jung, ledig oder verheiratet oder verwitwet oder sonstwas (ich glaube, sonstwas gab’s nicht, es ist lange her, wie gesagt).

Fräulein Österlin muß eine hervorragende Lehrerin gewesen sein, denn ich häkele nie und hatte doch nichts vergessen. Ich kaufte eine Häkelnadel, nahm lilagrüne Sockenwolle (wenn ich auch nicht häkele, so stricke ich doch, und zwar mit Vorliebe Socken) und machte mich ans Werk. Nach zehn Minuten hatte ich ein lilagrünes Schneekristall, das genauso aussah wie auf dem Foto – nur natürlich nicht so schneeig-weiß. Und konnte die Häkelanleitung aufschreiben, so, wie ich sie vom Foto her rekonstruiert hatte, und der Redakteurin auch noch stolz erzählen, wie aufopferungsvoll ich mich ans Werk gemacht hatte. Daß das große Werk, Fräulein Österlins Name sei abermals gepriesen, nur zehn Minuten in Anspruch genommen hatte, brauchte ich ja nicht zu erwähnen.

Hier muß nun gesagt werden, daß bei diesen Artikeln mit Fotos und Text auch das Original-Layout übernommen wird, und da Deutsch immer etwas mehr Platz braucht als Norwegisch, muß manchmal Text gekürzt werden. Es kam die Weihnachtsnummer, mit dem Bild des schneeig-weißen Häkelkristalls, was fehlte, war die Häkelanleitung. Und das nach meiner aufopfernden Tat! Danach habe ich festgestellt, die wäre nicht mal nötig gewesen, im Internet wimmelt es von Anleitungen zum Häkeln von Schneekristallen. Dennoch, es war ein stolzer Augenblick, als mein grünlila Kristall fertig war, eigentlich bin ich froh, daß ich nichts von den Gratisanleitungen im Netz wußte, irgendwie war es dann doch einer der Höhepunkte meiner Übersetzerinnenkarriere …

Beispiele aus dem Netz zum Häkeln von Schneekristallen:
Eine Video-Anleitung
Ein Ideenberg

Abb.: Cover LandIdyll-Magazin 01/2016

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag weitersagen:
Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

2 Gedanken zu „Meine Abenteuer beim Übersetzen, 6: Ich habe ein Schneekristall gehäkelt“

  1. Lieber Weihnachtsmann! Ich hab seit 54, nein, seit 57 Jahren keinen Wuschzettel mehr geschrieben. Meinste nich, das könnte ich denn jetzt doch mal wieder machen? Weil, da steht dann nur eins drauf: ich will, also äh. ich hätte gern einen gehäkelten Weihnachtsstern von Frau Haefs. Kannst das irnswie möglich machen? Och BÜTTE! Deine kleine Christine

  2. Großartig! Das ist mal wieder ein Beispiel dafür, wie ganzheitlich uns dieser Beruf fordert. Man kann sich mit sämtlichen Facetten seiner selbst einbringen. Ich freue mich auf alles, was da noch kommen mag. 🙂

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