Als ich im vorigen Jahr ein Vorwort geschrieben habe, fand ich es schrecklich dass ich im Vorwort nicht verraten darf, wie das Buch ausgeht. Beim Nachwort darf ich das. Jedenfalls im Nachwort selbst. Hier auf dem Blog nicht, merke ich gerade, ich möchte doch, dass ganz viele das Buch kaufen und mein schönes Nachwort lesen. Aber hier auf dem Blog kann ich Erinnerungen erzählen, die nun wiederum nicht ins Nachwort durften, weil sie denen, die das Buch lesen, total egal sein können.
Es geht um „Professor Hieronimus“ von Amalie Skram, das waren ursprünglich zwei Romane, die jetzt auf Deutsch in einem Band zusammengefasst worden sind. Darin verarbeitet Amalie Skram ihre Erfahrungen mit Aufenthalten in der Psychiatrie ihrer Zeit – sie lebte von 1846 bis 1905, wurde in Bergen in Norwegen geboren und starb in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen.
Mit siebzehn heiratete sie auf Drängen der Mutter – ihr Vater war nach einem Konkurs nach Amerika durchgebrannt, die kleinen Geschwister mussten versorgt werden – einen Kapitän, reiste mit ihm einmal um die Welt, ließ sich scheiden (Skandal!), wurde zur bedeutendsten naturalistischen Autorin Skandinaviens, zog zu ihrem zweiten Mann nach Kopenhagen und hatte Norwegen so satt, dass sie testamentarisch festlegte, dass auf ihrem Grabstein stehen sollte: „Amalie Skram, dänische Schriftstellerin“.
Das ist ein schändlich kurzgefasster Lebenslauf, wie gut, dass ich mich in meinem Nachwort austoben konnte. Und erstaunlich, was ich alles vergessen hatte. Das mit dem durchgebrannten Vater, der dann auch noch eine fingierte Todesanzeige nach Bergen schickte, statt wie versprochen Frau und Kinder nachzuholen. Oder dass Amalie in Verruf geriet, weil sie immer zu „praktische“ Handarbeiten bei sich hatte, wenn sie bei anderen jungen Ehefrauen zu Besuch war. Damen hatten nur zu sticken, wenn sie Pullover strickten, konnte das ja andeuten, dass sie sich keine kaufen könnten! Ich wusste einmal fast alles über Amalie Skram – das war zu Examenszeiten, und im Rigorosum (für die Nachgeborenen: die Nebenfachprüfungen, die damals bei der Dissertation verlangt wurden) hatte ich bei Norwegisch Amalie Skram als ein Spezialthema. Der Prüfer war ein alter Herr, der sie für überschätzt hielt, Engagement für Frauenrechte, was hat das in der Literatur zu suchen? „Tendenzliteratur“, knurrte er verächtlich. Nur dass Amalie einige Romanpersonen im Dialekt der Umgebung von Bergen sprechen ließ, das ließ er gelten. Zwar noch immer keine „gute Literatur“, aber eine sprachliche Fundgrube, befand der würdige Gelehrte.
Ich fühlte mich jeder Prüfungsfrage gewachsen, hätte alles über Amalie Skram erzählen können, ihr ganzes Leben, ihre Freundschaften und Liebschaften, ihre Ansichten zu tausend Themen ihrer Zeit, ihre Bücher, die Rezeption der Bücher … doch was wollte er wissen? „Wie heißt das Dienstmädchen, das im Roman ‚Constance Ring‘ vom Gatten der Titelheldin geschwängert wird.“ Ich wusste es nicht. Arlette heißt sie. Soviel habe ich seit Examenszeiten vergessen, aber den Namen des unglücklichen Dienstmädchens nicht. Alles andere wurde wieder wach und steht im Nachwort. Der Name nicht. Das ist so eine Art späte Rache an dem alten Trottel. Und das ist irgendwie ein gutes Gefühl. Worauf ich aber hinauswill, ist: Lest Amalie Skram! Sie ist ganz einfach grandios. Klug, spannend, witzig und aktuell.
Endlich gibt es etwas von ihr in Neuübersetzung:
Amalie Skram: Professor Hieronimus. Guggolz Verlag, 461 S., 24,-. Deutsch von Christel Hildebrandt, versehen mit einem lehrreichen Nachwort, das zu schreiben ungeheuren Spaß gemacht hat.
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig