Der Bloomsday ist der 16. Juni, denn James Joyce beschreibt in „Ulysses“ die Ereignisse dieses Tages. Überall auf der Welt, in irischen Botschaften und irischen Kneipen, finden Veranstaltungen statt, um den Tag zu begehen, und diese Veranstaltungen haben dann irgendwas mit Joyce zu tun – auch wenn der Zusammenhang manchmal mit der Lupe gesucht werden muß.
Aber ich will ja nicht über andrerleuts Veranstaltungen lästern, sondern von der erzählen, bei der ich war. Die war in Berlin, ich war von der Irischen Botschaft eingeladen, und das ist natürlich eine große Ehre. Die Irische Botschaft ist in der Jägerstraße angesiedelt, nebenan ist das Haus der Familie Mendelssohn. Den Festsaal, die Mendelssohn-Remise, benutzt die Irische Botschaft für feierliche Veranstaltungen – es war sehr feierlich, denn von allen Wänden schauten mir die Portraits von Angehörigen der Familie Mendelssohn auf die Finger, vor allem die Mutter von Felix und Fanny mit ihrer riesigen Haube sah grauenhaft streng und einschüchternd aus. Aber als ich gelesen hatte, und ich habe bestimmt schrecklich gestottert, (aber Ralph Gerstenberg war da, Autor hervorragender Krimis, der kann das bestimmt beurteilen und meinte, es sei doch erträglich gewesen), kam ein irischer Pianist, Micéal O’Rourke, der mit seinen schlohweißen Federhaaren aussah wie ein von Wilhelm Busch gezeichnetes Genie, und alles war wieder gut. Danach gab es Käsebrote und Wein (nach einer Szene aus „Ulysses“).
Und was habe ich gelesen? Nicht Joyce, natürlich nicht, wie käm’ ich wohl dazu? Mairtín Ó Cadhain (1906–1970) hat den anderen großen irischen Roman des 20. Jahrhunderts geschrieben. „Cré na Cille“ (Friedhofserde). Alle in Irland haben davon gehört und wissen, daß er gleichrangig neben „Ulysses“ steht. Gelesen haben ihn nicht so viele, denn Máirtìn Ó Cadhain schrieb auf Irisch. Es gab bis vor kurzem keine Übersetzungen, das lag an irgendeinem rechtemäßigen Kuddelmuddel, den ich einfach nicht durchschaue. Ist auch egal, der Roman konnte eben nicht übersetzt werden, weil die Rechtelage unklar war. Dann aber hat der irische Verlagsmann und Autor Micheál Ó Conghaile, den ich ja zu gern erwähne und der offenbar auch ein diplomatisches Genie ist, die Sache geklärt, und nun gibt es zwei englische Übersetzungen, eine eher wortwörtliche, und eine elegante Nachdichtung. Im nächsten Jahr wird es mindestens ein Dutzend weitere Übersetzungen geben, auch eine ins Deutsche. Aus der konnte ich also noch nicht lesen.
Aber als Aperitif ist ein Miniroman von Mairtín Ó Cadhain erschienen, „Der Schlüssel“ (im Original: An Eochar. Leute, die die Sprache nicht verstehen, sagen oft, Irisch sähe so geheimnisvoll aus, aber das hier heißt wirklich nur „Der Schlüssel“). Es ist ein Roman, der so richtig aus dem Leben gegriffen ist: Da sitzt ein Beamter in seinem fensterlosen Büroraum und sortiert Papiere, doch sein Vorgesetzter schließt ihn aus Versehen ein und fährt in Urlaub, mit dem Schlüssel in der Jackentasche. Und was passiert dann in einer Behörde, wo es keinen Vordruck für den Antrag auf Anfertigung eines Ersatzschlüssels gibt? Hat der arme Beamte überhaupt die Chance, da lebend herauszukommen? Eins ist klar, in einem Amt, das sich seiner hohen Verantwortung bewußt ist, wird ohne die entsprechende Vorschrift kein Finger gerührt. Es hat ungeheuren Spaß gemacht, das zu übersetzen, es gibt dauernd so feine bürokratische Wörter und immer erfindet der Autor neue Behörden. Denn das muß ganz klar gesagt werden: „Was ist der Zweck von Papier und Denkschriften? Dem Staat zu dienen. Was ist der Zweck des Staates? Dem Öffentlichen Dienst zu dienen!“ Sein Text sieht im Original auch irgendwie amtlich aus, ganz ohne Absätze und so. Schrecklich schwierig zu lesen, und beim Übersetzen war die Gefahr sehr groß, immer wieder im falschen Satz zu landen. Aber da der Autor sich nicht mehr wehren kann, wurde die deutsche Fassung lesefreundlicher mit Absätzen versehen.
Bei „Cré na Cille“ ist das anders, das besteht fast nur aus Dialogen. Und es ist so inhaltsreich und kompliziert und bedeutend, und ich hoffe, meine Übersetzung wird dann irgendwo zwischen wortwörtlich und eleganter Nachdichtung liegen, aber hier ist schon mal ein überzeugende Szene zum Einstieg: „Es waren einmal drei Männer …ach ja, vor langer Zeit waren da drei Männer. Ich weiß nicht, was danach aus ihnen geworden ist …“
Anmerkung: „Cré na Cille“ ist im Frühjahr 2017 unter dem deutschen Titel „Grabgeflüster“, übersetzt von Gabriele Haefs, im Kröner Verlag veröffentlicht worden.
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“. Evelyn Kuttig
https://www.youtube.com/watch?v=GWlLNpJE1zI
Ich glaube, es kommt immer darauf an, wer den Bloomsday ausrichtet, eine irische Kneipe, die zum Bloomsday eine deutsche Band spielen läßt, die keinerlei Joyce-Bezug hat und nicht mal Humpty Dumpty singt, ist sicher an den Haaren herbeigezogener als viele andere. Dass die Botschaft den Tag nutzt, um den anderen größten irischen Roman schon mal anzukündigen, jetzt, wo endlich was passiert, finde ich gar nicht so abseitig, da beide Romane ja so oft in einem Atemzug genannt werden. Ich fände es natürlich gut, wenn die nächstes Jahr jemanden, der Ahnung hat, über Parallelen oder Gegensätze im Werk der beiden einen kleinen Vortrag halten lassen würden, statt nur eine Lesung zu machen. Eine Parallele hast du schon aufgezeigt, Rainer, irgendwie hatte ich das gar nicht mehr aktuell in Erinnerung, Ó Cadhain war dem irischen Revival gegenüber auch arg skeptisch, in Cré na Cille wird er da ziemlich deutlich. Wir sollten diesen Faden mal verfolgen …
Ein wenig ketzerisch gefragt: Muss bei einer Lesung aus Werken von Mairtín Ó Cadhain am Bloomsday der Zusammenhang, wie im ersten Absatz beschrieben, nicht auch mit der Lupe gesucht werden? Zwar waren beide Schriftsteller Iren, aber soviel ich weiß, kannten sie sich nicht, Joyce schrieb zudem nicht Irisch, hatte zum Irish Literary Revival ein eher distanziertes Verhältnis.