Vor einigen Jahren meldete sich telefonisch eine Frau, die mit mir einen Beratungstermin für ihre Geschäftspapierausstattung vereinbarte. Sie wäre Immobilienmaklerin für Menschen mit gehobenen Ansprüchen und wünsche sich, dass dieses in einer völlig neuen Gestaltung und Herstellung ihrer Geschäftsunterlagen sichtbar wird.
Ich bereitete mich auf das Gespräch vor, suchte verschiedene hochwertige Papiermuster heraus, zog Siebdruck, eine Prägung und/oder Stanzung in Erwägung, dachte über eine raffinierte Flyergestaltung nach und legte einen kleinen Fragenkatalog an: Geschäftsablauf, Kundenkontakte, Sichtung der vorhandenen Drucksachen, Vorstellungen, Inhalte, Texte, Lieblingsfarben … kochte Kaffee …
Doch den entscheidenden, Kreativität auslösenden Schubs gibt mir der Eindruck von der Person und ihrem Unternehmen. Denn die Präsentation soll passen, mit dem Geschäft und der Philosophie übereinstimmen, diese wohlgestaltet transportieren. – Psychologisch geschult führen mich Zwischentöne und Unausgesprochenes in solchen Gesprächen auch zu Entwürfen, die die Auftraggeber gar nicht im Kopf hatten, die sie deshalb völlig überraschen und oft zunächst irritiert beiseite legen lassen. Vielfach geben die Darstellungen meiner Beweggründe und Assoziationen für diese „abwegigen“ Entwürfe den Ausschlag, dass sie sich dafür zu entscheiden.
Insgeheim bin ich begeistert, wenn Kunden und Kundinnen meinen dem Vorhaben angemessenen Vorschlägen zu Papier und Drucktechnik mit Offenheit begegnen und nicht von vornherein das Wort „günstig“ oder gar „billig“ anführen. Die Sparsamen „vergessen“ meistens den Faktor Marketing und verschenken wegen falsch verstandener Wirtschaftlichkeit die Aufmerksamkeitswirkung. – Wenn das Budget knapp ist: eine gute Gestaltung ist der Eyecatcher, dann kommt das Anfassen. Die Gestaltung, Lesbarkeit usw. sind das A und O für das Wahrnehmen und den Informationstransport.
Die Immobilienmaklerin, die in einem offenen Zweisitzer angeflitzt kam, wirkte schon am Telefon sehr aufgeschlossen. (Ich mag Sportwagen! Ein Freund fuhr jahrzehntelang mit seinem Porsche Rennen auf dem Nürburgring, besaß in jungen Jahren einen getunten Fiat.) Trotzdem ging es mit uns schief. Als wir uns über ihre Tätigkeiten unterhielten, erzählte sie mir stolz, dass sie ein überaus lukratives Objekt makeln würde. Ihr Stolz darauf drückte sich in ihrer entspannten Körperhaltung, den blitzenden Augen und ihrem zufriedenen Schmunzeln aus. Sehr sympathisch. Doch die Beschreibung des Objekts, die Schilderung ihres Vorgehens brachte meinen positiven Eindruck ins Wanken. Es handelte sich um ein großes Landhaus in einem Dorf neben einem Bauernhof, auf dem Schweine gezüchtet werden: „Nun konnte ich schon in drei aufeinander folgenden Wintern neue Mieter dafür finden. Denn im Sommer stinkt es dort fürchterlich!“ – Dieser Stolz beinhaltete eine Riesenportion Schadenfreude!
Meine Gesprächspartnerin schien von meinen Vorschlägen sehr angetan zu sein und wollte von mir möglichst schnell ein Komplettangebot mit allen Herstellungskosten für eine hochwertige Ausstattung. Neben dem einige Tage währenden Einholen von Angeboten für Druck und Veredelung traf ich nach umfassenden Erwägungen eine Entscheidung gegen diese mögliche Geschäftsverbindung. Ich sandte ihr ein kalkuliert inakzeptables, abschreckend hohes Angebot – und war sie los.
Ich weiß, dass die Maklerin keineswegs gegen geltendes Recht verstoßen hat. Sie hat den Auftrag zum Besten ihres Kunden – aber vor allem für sich – erfüllt. Wo fängt ethisches Denken an? Für mich beinhaltet solch ein Tun einen Charaktermangel.
Hätte ich ihr das sagen sollen?
Was hätte diese Erzählung aus der Praxis einer potenziellen Auftraggeberin bei euch/Ihnen ausgelöst?
Foto: pixabay – netzgewandt
Hallo Evelyn,
Coole Entscheidung. Es ist bedauerlich, das die Maklerin sich nicht für das Wohle des Kunden entscheidet und lieber regelmäßig kassiert. Das zum ehrbaren Kaufmann. Glücklicherweise ermöglicht das Internet, ein immer größere Transparenz und zwingt solche Menschen immer stärker zu mehr Authenzität.
Viele Grüße,
Ben
Lieber Ben,
Dein Hinweis auf das Internet ist sehr (zu-)treffend!
Ich freue mich über unsere „Seelenverwandtschaft“.
Herzliche Grüße
Evelyn