Gemeint ist die norwegische Kulturministerin, wir haben hierzulande ja eigentlich keine. Bzw. eine Person dieses Amtes pro Bundesland, was ja nur gut ist, denn so können sie keinen landesweiten Schaden anrichten. Die norwegische Kulturministerin (deren Partei so ungefähr das Weltbild der AfD vertritt) ist auch Ministerin für Sport, und böse Zungen behaupten, sie sehe ihr Amt so: Ministerin für Sport und Kultur. Da ich keine Ahnung von Sport habe, möchte ich mich dazu nicht äußern. Die Ministerin kleidet sich gern knallbunt und hat unendlich viele Klamotten. Wenn ihr Mann sich mal umziehen will, braucht er Stunden, um sich zu seinem Zweithemd durchzuwühlen – das entnehme ich der Presse, wo der Herr sich gern über solche Dinge äußert. Zu behaupten, ich hätte die Ministerin getroffen, wäre übertrieben. Aber beim Literaturfestival in Lillehammer in diesem Jahr war ich eine von dreien, die ihr erzählen sollten, wie wichtig es ist, übersetzte Literatur zu fördern. Wir hatten uns sehr gut vorbereitet, hatten Themen zurechtgelegt und trugen mit verteilten Rollen vor. Die Ministerin wischte an ihrem SmartPhone herum und schaute nur einmal auf, als der Name Dikken Zwilgmeyer erwähnt wurde. „Wer ist das?“, fragte sie. „Norwegens erste Jugendbuchautorin, dazu auch Frauenrechtlerin und Vorbild der Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset“, ist die Antwort. Immerhin, die Ministerin gab ihre Unwissenheit zu.
Sie war übrigens in dunkle Farben gekleidet. Farbenfroh dagegen ihr Sekretär. Er trug ein blauweißkariertes Hemd, dazu ein schwarzes Sakko mit krachweißen kunstledernen Ellbogenflicken und einem grüngelbgekringelten Einstecktuch und bewachte gewissenhaft die bonbonrosa Aktentasche seiner Chefin. Der Anblick dieser Farbsymphonie glich einfach alles aus.
Zwei Monate später. Freilichtbühne im norwegischen Gålå. Premierenabend, gegeben wird Ibsens „Peer Gynt“. Die Ministerin hatte gerade erst erklärt, die Zeit sei ja wohl vorbei, in der irgendwer anderen erzählen dürfe, welches Kunstwerk gelungen sei und welches nicht. Ein Kritiker hatte die Qualität der in Norwegen so beliebten historischen Freilichtstücke bemängelt, und das wollte die Ministerin nicht gelten lassen. Aber nun brachte sie nicht nur Norwegens gesamten Kritikerstand gegen sich auf, sondern auch die vielen Leute, die im Sommer nichts lieber tun, als sich über das Freilichttheaterstück ihres Ortes zu ärgern und in erbosten Leserbriefen klarzustellen, was die Regie alles versiebt hat. Und nun war sie also zu „Peer Gynt“ gekommen, diesmal knallrot gewandet, dafür ohne den farbenfrohen Sekretär. Wir standen sogar an der Hotelbar nebeneinander, und sie bestellte Rotwein, passend zum Pullover (aber da sie mich bei meinem Vortrag nicht angesehen hatte, erkannte sie mich natürlich nicht).
Nächster Morgen, gerade aufgebrochen, Anruf aus dem Hotel: Ob wir vielleicht eine Reisetasche zu viel eingepackt hätten. Wir hatten. Hatten uns gewundert, wieso wir plötzlich so wenig Platz im Kofferraum hatten, aber nicht weiter darüber nachgedacht. Es war zudem eine dunkle, dezente Reisetasche, eine knallrosa wäre uns ja aufgefallen. „Wie gut“, sagte die Frau aus dem Hotel, „hier steht nämlich die Kulturministerin und ist total außer sich.“ Und wirklich, es hing sogar ein Namenszettel an der Tasche, aber der war uns natürlich nicht aufgefallen.
Es wurde ein konspirativer Treffpunkt ausgemacht, dort stand ein dunkler Wagen und ein dunkel gekleideter Herr nahm die Tasche in Empfang, schien das alles nicht weiter schlimm zu finden und sagte, es seien ohnehin nur Wolldecken drin. Wie gut, dass wir unserem ersten Impuls nicht gefolgt waren und nicht erklärt hatten: „10 Millionen an freie Theatergruppen und weg vom Sport, oder die Tasche landet im Hochmoor.“ Wir hatten uns fünf Minuten in der wunderbaren Vorstellung gewiegt, so berüchtigt zu sein, dass wir sofort in Verdacht geraten, wenn eine Ministerin eine Tasche vermißt. Aber diese Illusion wurde uns nun brutal geraubt. Wir waren einfach die einzigen, die schon ausgecheckt hatten, als die Ministerin den Verlust der Tasche entdeckte.
Das waren nun zwei Begegnungen mit der norwegischen Kulturministerin. Ich warte gespannt auf die dritte. Die Ministerin war abends in den Fernsehnachrichten zu sehen; weiterhin in Knallrot, wenn auch einer andere Farbnuance, tanzte sie bei einem Skitreffen. Wir Taschendiebinnen dagegen – niemand glaubt uns, daß alles der pure Zufall war. Und während wir die verfolgte Unschuld spielen, ist das immerhin ein schönes Gefühl.
@ Abbildungen: Festivalfotos vom Veranstalter freigegeben und privat
Ein Beitrag zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig