Oder besser: wo uns inspiriert (die Göttin der Grammatik möge mir verzeihen) – es gibt Orte, wo einfach alles stimmt, die Arbeit fließt nur so dahin, die Ideen lassen sich aus dem Handgelenk schütteln, die Kreativität erreicht immer neue Höhen! Ich wüßte so gern, wo andere besonders gut schreiben, denken, entwerfen können, vielleicht sagt jemand was dazu? Es gibt Seminarhäuser, Übersetzerkollegien, Studienzentren, wohin wir eingeladen werden können (oder wir bewerben uns um einen Arbeitsplatz für eine gewisse Zeit), Visby, Reykholt, Straelen (das geht nun gar nicht, da hab ich zu viel Verwandtschaft in der Nähe), aber so schön Visby auch ist, am besten arbeite ich zu Hause, umgeben von meinem eigenen Kram. Inspiration dagegen kann theoretisch überall kommen, doch es gibt Orte, da steht sie und ruft gewissermaßen: Ach, wenn doch eine käme und mich mitnähme.
Mein Ort liegt an der niederländischen Nordseeküste, und ich war schon als Kind immer in den Ferien dort. Mitten im Dorf steht das alte Hotel Monsmarem, ein riesiges viereckiges Ding aus den 20er Jahren, von innen verwinkelt, verwunschen, verworren. Mit zehn habe ich mich in den Aufenthaltsraum geschlichen und wußte offenbar schon, daß man in Kaffeehäusern konsumieren muß. Ich kaufte mir für 10 Cent (damalige niederländische Cent, 1/10 von einem Gulden, damals eine gewaltige Summe) einen Schokoriegel, lieh mir vom Kellner das Reiseschachbrett aus und versuchte, mir Schachspielen beizubringen. Die Liebe zu Cafébesuchen hat mich nie mehr verlassen, die Liebe zu Bergen aan Zee, wie mein Ort heißt, auch nicht.
Das Monsmarem steht noch da, aber der Name ist weg. Es sieht mehr und mehr aus wie ein Spukhaus, und als ich nun anfing, herumzufragen, was denn da los sei, wußten viele schon nicht mehr, daß dieses alte Hotel früher Monsmarem hieß. Aber was los ist, wissen alle. Es steht gar nicht leer, es sieht nur so aus. Drinnen wohnt Frank Vrasdonk, der Wohnrecht hat. Ein Bauunternehmer, der reichlich Erfahrungen mit dem Bau von Hotelanlagen in Ostafrika gemacht hat, möchte das alte Hotel kaufen, abreißen und durch Luxusappartements ersetzen. Das geht aber erst, wenn Frank Vrasdonk auszieht, und der will nicht. Luxusappartements findet er offenbar überflüssig, er möchte lieber das Monsmarem mit Hilfe von Freunden restaurieren und dann als Wohn- und Ausstellungshaus für Künstler nutzen. Eine wunderbare Idee, und neuerdings ist er seinem Ziel einen kleinen Schritt nähergekommen, drei Fensterbänke sind frisch und himmelblau gestrichen.
Allein der Anblick des Hauses und der Fensterbänke ist inspirierend, die Geschichte ist so schön, daß die Inspiration wächst, und ich sprudele doch ohnehin immer vor Einfällen, wenn ich dort bin. Nie war mein Notizbuch so schnell mit Themen und Ideen und Texten gefüllt wie im vorigen Monat in Bergen aan Zee. Und ich finde, alle sollten sich die Facebookseite von Monsmarem ansehen und „gefällt mir“ anklicken, um Frank Vrasdonk moralisch zu unterstützen.
Schachspielen habe ich damals allerdings nicht gelernt. Das lag jedoch nicht am Monsmarem, sondern daran, daß Kinder nie in Ruhe gelassen werden. Ein Kind, das sich mitten in den Ferien in eine Ecke verkriecht, stundenlang kein Wort sagt und sichtlich zufrieden und glücklich mit seiner stummen Beschäftigung ist, fordert unvermeidlich die ganze Verwandtschaft heraus und muß ins Freie gezerrt werden, um ferienmäßigen Freiluftbeschäftigungen nachzugehen. Wenn das Monsmarem aber zum Künstlerhaus geworden ist, werde ich alles nachholen!
Foto oben: flickrhivemind.net
Foto unten: Gabriele Haefs
Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig
Guten Tag,
habe gerade Ihren Bericht über das Hotel
Monsmarem in Bergen a Z gelesen und meine Erinnerungen kamen zurück!
Das Hotel gehörte der Familie Baarda! Nico Baarda war meine 1. Liebe !
Liebe Ingrid Flocken, was für eine schöne Erinnerung, leider ist mein Text überholt, das alte Monsmarem ist inzwischen doch abgerissen worden, ich konnte noch nicht herausfinden, was nun dort gebaut werden soll. Bestimmt nichts, was sich auch nur annähernd damit messen kann, jedenfalls.
Wenn ich darüber nachdenke, kommen mir die besten Inspirationen unterwegs … Zu Fuß, im Auto als Beifahrerin, im Zug, im Bus … Ich bzw. die Umgebung muss in Bewegung sein, und ich schaue, lasse meine Gedanken fließen. Dann versinkt jedes Geräusch um mich herum, selbst in einem nach Schulschluss mit Kindern überfüllten Bus. Ich nehme nur Farben und Formen der vorbeiziehenden Umgebung wahr, zwischendrin gefesselt von Details, und daraus strömen Ideen für das, womit ich gerade befasst bin. Hingegen brauche ich am Arbeitsplatz Stille. Dann bin ich produktiv.
Ach, Renate, das klingt gut und inspirierend, kannst du mir die Frequenz des Antwerpener Senders sagen? Würd ich auch gern hören, es gibt einige flämische Chansonniers, die ich zu gern höre … ich murmele nur „Guido Belcanto …“!
Küche! Hier kommen mir die Ideen und die leicht fließenden Formulierungen. Ich wohne unterm Dachjuchhee und habe eine Wohnküche. Durchs Gaubenfenster sehe ich eine Linde, hohe Nadelbäume und Himmel. Im Regal steht ein uraltes Kofferradio, das die ganze Zeit läuft. Ich habe einen belgischen Sender drin, aus Antwerpen. Überwiegend klassische Musik, Jazz, Chansons. Da ich des Flämischen nicht mächtig bin (muß schon genau hinhören, um zu verstehen, worum es geht), rauscht es an mir vorbei, wenn gesprochen wird. Hintergrundrauschen ist überhaupt etwas, wobei mir Ideen und Worte kommen. Das kann auch in einem Café sein, wo ich mit einem Ringbuch ausgerüstet bin. Und wenn dann das Thema und erste Sätze entstehen, laufe ich flugs ins Arbeitszimmer und lege los.