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Wie aus einer Idee ein Buch wird, 2: Ragnhild Jølsen

Ragnhild Jølsen
Ragnhild Jølsen

Manchmal fragen Verlage an, ob es nicht vergessene AutorInnen gibt, die unbedingt (wieder) auf Deutsch erscheinen müssten. Wir haben natürlich alle besondere Lieblinge, die es doppelt und dreifach verdient hätten, und dann empfehlen wir und manchmal wird ja etwas draus. Mit Anna Munch war es so, das habe ich hier schon mal erzählt – aber heute soll es um Ragnhild Jølsen gehen, eine norwegische Autorin, die von 1875 bis 1908 lebte. Sie stammte aus einer norwegischen Gutsbesitzerfamilie, die in finanzielle Schwierigkeiten geriet und den Familienhof Ekeberg in Akershus bei Oslo aufgeben mußte. Ragnhild Jølsen konnte sich mit diesem Verlust nie abfinden und versuchte, durch Schreiben genug für den Rückkauf von Ekeberg zu verdienen – ähnlich wie Selma Lagerlöf, aber nicht so erfolgreich. Als junge Autorin verkehrte sie in den Kreisen der Bohème von Kristiania (wie Oslo damals hieß) und schockierte manche Kritiker mit ihren Büchern, in denen sie angeblich so offen die Leidenschaften ihrer weiblichen Hauptpersonen schilderte, daß es in Rezensionen hieß, das müsse doch ein Pseudonym sein, nur ein Mann könnte es schließlich wagen, so offen über Erotik zu schreiben. Ihr Roman „Rikka Gan“ ist kurz, kaum mehr als 100 Seiten, aber da Ragnhild Jølsen eine Meisterin der Andeutung ist und so viel zwischen den Zeilen schreibt, wirkt er viel länger. Und ist gerade deshalb unvergeßlich, weil sich soviel in unserer Phantasie abspielt.

RagnhildJEs geht um einen Hof, dem vermutlich Ekeberg Modell gestanden hat. In ihrer Geschichte verwebt die Autorin alte Überlieferungen aus der Gegend, Sagen von Verhängnis und Teufelspakt, und erzählt dann doch eine sehr realistische Geschichte.

Die meisten kleinen Gehöfte, die im Buch vorkommen, sind längst verschuldet, alles wird aufgekauft von Mathias Aga, einem reichen Kaufmann – und Aga, der Name sagt alles. Diesem unbeschränkten Herrscher über alles wird Rikka Gan sozusagen zum Fraß vorgeworfen. Ihr Bruder Jon, schwächlich und von einer seltsamen Krankheit gezeichnet, wie berührt von den Fingern des Teufels, die sich auf seiner Brust abzeichnen, ist doch noch Manns genug, um seine Frau Fernanda jedes Jahr zu schwängern, und die Kinder wollen essen. Fernanda und Rikka suchen Aga auf und bitten ihn, Jon als Verwalter einzustellen – zwar ist der Mann krank, aber Frau und Schwägerin trauen sich zu, seine Arbeit neben ihrer eigenen zu erledigen. Aga stimmt zu, den Preis bezahlt Rikka. Im Herbst wird von seinem Herrensitz das Gesinde entlassen, Herr Aga verbringt den Winter bei seiner Gattin in der Stadt, erfreut, weil sein gewissenhafter Verwalter Jon Gan ihm die Lohnkosten für mehrere Monate erspart. Was wir zwischen den Zeilen lesen: Rikka ist schwanger, das Kind wird gleich nach der Geburt ermordet und im Moor verscharrt. Im Frühjahr wird dann neues Gesinde eingestellt, Herr Aga rückt an, um den Sommer auf seinem Gut zu verbringen. Das geht mehrere Jahre so. Die ganze Gegend weiß, was passiert, niemand redet darüber, die Umstände sind eben so, und auf vielen verarmten Höfen läuft es nicht anders. Und doch wird Rikka, die keine Wahl hat, heimlich von allen verachtet und weiß, in dem Moment, wo jemand ein Wort sagt, werden alle über sie herfallen und sie verurteilen, als Hure und Kindsmörderin. Das alles erträgt sie, doch als sie merkt, daß der unersättliche Aga nun ein Auge auf ihre Nichte Fernanda wirft, die gerade mal vierzehn ist, reicht es ihr – Fernanda soll nicht geopfert werden. Und so plant Rikka Gan einen dramatischen Showdown, mit der Aga und auch sonst niemand gerechnet haben.

Das alles passiert in diesem kleinen, ungeheuer dichten Roman. Bewundert hat ihn kein geringerer als Knut Hamsun. Hamsun bewunderte nicht nur den Roman, sondern auch dessen Autorin. Und er, dem offenbar kaum eine Frau widerstehen konnte und der gar zu gern mit seinen Eroberungen protzte, protzte hier nicht. Dass Ragnhild Jølsen, die verehrte Autorin, ihn ein einziges Mal erhört hat, machte ihn noch viele Jahre später stolz und glücklich und unerwartet bescheiden.

Ragnhild Jølsen, die mit nur 32 Jahren an einer Überdosis Schlafmittel starb, hat nur fünf Bücher veröffentlicht. Ein sechstes erschien nach ihrem Tod. Unbedingt brauchen wir etwas von ihr in neuer Übersetzung, als allererstes natürlich „Rikka Gan“. Wir arbeiten daran.

Foto oben: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ragnhild_Jølsen.jpg

Ein Gastbeitrag zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig


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Gabriele Haefs

Gabriele Haefs

Gabriele Haefs hat Volkskunde, Sprachwissenschaft, keltische Sprachen und Skandinavistik studiert, liebt alle Fächer gleichermaßen und springt deshalb beim Übersetzen und Schreiben dazwischen hin und her. Sie wohnt in Hamburg und würde gern noch eine Sprache lernen, aber private Umstände verhindern das zur Zeit.

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