Wie wir uns immer freuen, wenn vergessene AutorInnen durch unsere Hilfe neu übersetzt und dem deutschen Publikum zugänglich gemacht werden, habe ich ja schon erzählt. Und auch, daß wir alle etliche Lieblinge haben, die wir auf Anfrage interessierter Verlage sozusagen aus dem Ärmel schütteln. Aber manche lassen sich einfach nicht schütteln. So eine ist die Norwegerin Åsta Holth (1904–1999). Sie kam aus dem sagenumwobenen Waldgebiet Finnskogen, das sich an der norwegisch-schwedischen Grenze entlangzieht und so heißt, weil es im 18. Jahrhundert von Finnen besiedelt wurde. Über Finnskogen schreibt der wunderbare Levi Henriksen, dessen Bücher es auf Deutsch gibt. Vor ihm schrieb Åsta Holth über ihre Heimatregion, und ihre Romane, vor allem ihre „Finnskogtrilogie“ seien sensationell gut und viel zu wenig bekannt. Sagen Leute, auf deren Urteil ich viel gebe, z.B. eben Levi Henriksen oder der Mathematiker Harald Karlsen. Leider sind die Bücher auch in Norwegen zu wenig bekannt und deshalb offiziell vergriffen. Aber zu kaufen seien sie, heißt es, in Svullrya in Finnskogen. Im Dorfladen dort werden Postkarten verkauft, auf denen Åstas Bekannter-Gehilfe-Sonstwas Jussi mit ihrem Pferd Pinocchio einen Acker pflügt. Aber sie hat nicht nur Ackerbau betrieben, sondern auch eine Tracht für Finnskogen entworfen, die auch vom norwegischen Trachteninstitut gebilligt wird, sie hat Dialektwörter gesammelt, alte Kochrezepte aktiviert und eben geschrieben. Ja, und die Bücher gebe es im Åsta Holth-Museum, heißt es in der Hauptabteilung des Museums von Finnskogen, am einen Ende von Svullrya gelegen.
Das am anderen Ende des Dorfes gelegene Åsta Holth-Museum ist nicht leicht zu finden, es sieht aus wie eine heruntergekommene Scheune, aber durch das Fenster erblicken wir wir den Tisch mit ihrer Schreibmaschine. Das Museum hat geöffnet, das verkündet das Schild am Eingang. Es ist aber zu und Klopfen an Tür und Fenster hilft auch nichts. Irgendwann geben wir also auf und machen kehrt, und da schaut aus einem Fenster eine alte Dame. Wir winken, laufen zur Tür, klopfen abermals – nichts. Als wir dann endgültig aufgeben und zur Straße zurückgehen, steht die alte Dame wieder am Fenster. Und am zweiten Fenster steht ein nicht ganz so alter Herr. Eigentlich gibt es doch nur drei Erklärungen: 1. Die haben uns gesehen und wollen solche Leute nicht in ihr schönes Museum lassen. 2. Die sind gerade dabei, die Besucher, die vor uns gekommen sind, auszurauben, und wollen nicht gestört werden. Gut, daß wir nicht arglos in diese Falle getappt sind. 3. Sex, dazu lieber keine weiteren Erklärungen. (Levi Henriksen, der sich doch dort auskennen muß, tippte sofort auf Erklärung 3).
Im Hauptmuseum ist das Erstaunen groß – da MUSS jetzt geöffnet sein, wir sollten es noch mal versuchen. Ob sie nicht anrufen könnten, fragen wir. Anrufen? „Nein, Annelise ist über 80, die hat kein Telefon.“ – „Aber vielleicht der Mann? Der wirkte doch um einiges jünger?“ – „Der Mann?“ Sämtliche Museumsleute stoßen schrille Schreie aus. „Da darf doch gar kein Mann sein!“
Mehr haben wir dann nicht aus ihnen herausholen können. Annelise hat kein Telefon und Männer sind im Museum nicht erlaubt. Und Åsta Holths Schreibmaschine haben wir also nur durch ein Fenster gesehen, und Bücher konnten wir auch nicht kaufen.
Jetzt könnte ich natürlich das Hauptmuseum in Svullrya noch mal anschreiben und um Bücher bitten. Oder die norwegischen Antiquariate abklappern. Oder in Bibliotheken suchen. Es gäbe viele Möglichkeiten, aber – ich will nicht. Ich bin sicher, nichts, was Åsta Holth geschrieben hat, kann auch nur halb so schön sein wie der Versuch, in ihr Museum zu gelangen, und bei diesem Versuch soll es deshalb bleiben.
Levi Henriksens Bücher auf Deutsch:
Bleich wie der Schnee, Droemer 2005, Knaur 2007
Die Geschichten meiner Familie in Äxten und Sägen, btb 2o14
Wer die Goldkehlchen stört, btb 2018
Zwölf Wörter von Oskar Maier, Kröner 2023
Foto oben: geni.com
Foto unten: Gabriele Haefs
Ein Gastbeitrag von Gabriele Haefs zum Thema „Buchherstellung“, Evelyn Kuttig