Vielleicht begann es damit, dass ich zum dritten Mal in einer großen Buchhandlung über einen Buchstapel im Eingang stolperte … In unterschiedlichen Buchhandelsketten überall der GLEICHE Krimititel! Früher hätte ich vielleicht gedacht: „Okay, gute Werbe-Arbeit des Verlags!“ Doch mittlerweile hatte ich nicht nur mit Nummer 27 mindestens eine kleine Buchhandlung zu viel schließen sehen – eine Buchhandlung, die sich spezialisiert hatte, liebevoll alle Bücher und Menschen begleitete, betrieben von BuchhändlerInnen, deren Leidenschaft Bücher sind. Sondern hatte auch mehr als einmal erlebt, wie sich „klassische Verlage“, unabhängige Verleger für ihre Publikationen bezahlen ließen. Schlimmster Fall: Ich arbeitete angestellt für eine große Non-Profit-Organisation. Und war daran beteiligt, einen dicken Bildband auf den Buchmarkt zu bringen. Damit ein regionaler Verlag endlich den Buchvertrag unterschrieb, wurde von uns verlangt, dass WIR für die „U3“ (also die innere Buchrückseite) einen Werbekunden auftreiben sollten. Das mit dieser Anzeige verdiente Geld sollte natürlich „der Verlag“ bekommen. Ganz unverschleiert: ein Druckkostenzuschuss. Seitdem möchte ich solche Verlage nur noch in Anführungszeichen setzen. Mindestens. Denn es macht mich wütend, wie scheinheilig da mit zweierlei Maß gemessen wird …
Ich bin mit „den echten“ Verlagen aufgewachsen. Als Autorin, Redakteurin, Lektorin, Texterin, Germanistin habe ich sie nicht nur geliebt, sondern auch für sie gearbeitet. Und konnte mir mindestens 52 Jahre lang ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Wirklich absolut nicht! Jetzt bin ich seit acht Jahren (wieder) selbstständig. Als Buchhebamme. Denn ich habe genug von all den Büchern mit dem ewig gleichen Aufbau. Mit Heldenreisen, die so wiedererkennbar durch jede Handlung mäandern, dass ich schon nach den ersten zwei Seiten gähnen muss. Genug von Pseudo-Biografien, die chronologisch ohne jede Ecke oder Kante von Ghostwritern geschrieben werden, die den jeweiligen „Promi“ noch nie getroffen haben, sich stattdessen an einem Haufen Pressemitteilungen und anderen Lobhudeleien abarbeiten müssen. Genug von all den Ratgebern, die mich doof aussehen lassen, weil ich es trotz all der unzähligen Sekunden, die ich jetzt schon lebe, immer noch nicht geschafft habe, in drei Sekunden stinkreich zu werden.
Wo sind die Bücher, mit denen ich auf Abenteuerreise gehen kann? Die mich überraschen? Die, mit denen ich träumen darf? Die mir unbekannte Welten nahebringen – und das muss ganz und gar nicht die Entdeckungsreise zum Südpol auf der Nord-Venus sein. Die, die auch mal über die Stränge schlagen, Dinge nicht „eng“, sondern unverschämt, neu sehen – ohne, dass da gleich angestrengt-literarisches Wabern einsetzt? Warum stolpere ich nicht mal über einen Haufen SOLCHER Bücher? Warum gibt es sie – zumindest meistens – nur in Kleinstverlagen, deren Angebote man sehr gezielt suchen muss? Warum können solche Verlage so häufig nicht genügend Umsatz machen und müssen schließlich aufgeben? Ja. Vielleicht bin ich zu anspruchsvoll. Vielleicht komme ich nie mehr los von meinem ewigen „Sitzen zwischen allen Stühlen“.
Genau: Vielleicht fing alles ja auch DAMIT an: Ich musste mich wieder selbstständig machen. Mich online überzeugend präsentieren, positionieren. Also am besten: eine „Marke“ werden. Ich war durchaus bereit dazu, wusste in etwa, wie man das anstellt: ehrlich und authentisch sein. Nichts tun oder behaupten, was mir zuwiderläuft. Dafür brauche ich eine klare Haltung. Solche Überlegungen kenne ich schon sehr lang. Und hab auch gar nichts gegen sie. Nur: Ich will mich nicht „beschneiden“ lassen. Gar nicht so einfach … Denn manchmal denke ich: Ich sehe die Welt mit den Augen einer Fliege. Die hat Facettenaugen. Ich vermutlich auch. Mit Sicherheit interessiere ich mich für sehr viele Dinge, Aspekte, Lesarten, Medien und Denkansätze. Ziemlich schlecht für eine „eindeutige Marke“. Darum kam ich für meine Positionierungs-Überlegungen immer wieder auf die Formulierung „zwischen allen Stühlen“ zurück. Oder wäre es nicht besser „zwischen DEN Stühlen“ zu sagen? Ich hab mir lange den Kopf darüber zerbrochen … Dann wurde mir klar: „Da stimmt was nicht! Wer so lange nachdenken muss, hat seine Marke noch nicht gefunden.“
Und dann halfen mir komischerweise Mode- und Lifestyle-Zeitschriften … Drei- bis viermal im Jahr kriege ich solche Anfälle: Da muss ich so was lesen. Hat durchaus auch mit dem Wunsch nach Orientierung zu tun. Die „eigensinnige Vivienne Westwood“ kannte und liebte ich schon lang. Ich las vom Eigensinn eines Künstlers, einer Künstlerin …
Patsch! Da flog es mir wie Schuppen von den Augen: Eigensinn ist MEIN Thema! Und plötzlich passte alles (wieder) zusammen: Die Vielfalt, das Nicht-08/15-Sein-Wollen, der eigene Weg, der allein schon extrem spannend ist, das Abenteuer der individuellen Stimmen, Themen, Aspekte. Und das Schreiben. Noch nie zuvor hat jemand den Eigensinn und das Schreiben wirklich konsequent zusammen-gedacht. Und vor allem: Eine echte Definition dessen, was Eigensinn ist, wofür er steht, habe ich nirgendwo gefunden. Also musste ich sie wohl schreiben.
Dabei kamen und kommen mir die Möglichkeiten von Selfpublishing zugute – ein „klassischer Verlag“ hätte sich kaum darauf eingelassen. Das wollte ich inzwischen aber auch gar nicht mehr. Denn ich bin überzeugt davon, dass Eigensinn und Selfpublishing das perfekte Duo sind. Natürlich nur, wenn bei der eigensinnigen Buchproduktion via Selfpublishing Professionalität am Werk ist. Und genau dafür will ich seitdem stehen. Ganz eigensinnig.
Beim Schreiben begegneten mir viele Menschen. Die ich mal geliebt und lang schon wieder aus den Augen verloren hatte – Hermann Hesse zum Beispiel. Die ich immer schon großartig fand: Alexander Kluge, Werner Herzog, René Descartes, Georges Simenon, Ingrid Noll, Haruki Murakami, Marianne Sägebrecht, Alice B. Toklas und viele mehr. Denn sie alle schreiben/schrieben und handelten eigensinnig. Menschen, deren Bücher ich rezensiert hatte, weil ich sie so großartig fand – Menschen, denen ich teilweise im „echten Leben“ schon begegnet bin, die zu meinen Netzwerken gehören … Sonja Schiff zum Beispiel, deren Buch „10 Dinge, die ich von alten Menschen über das Leben lernte“ ich wunderbar fand und finde. Das ist so überzeugend, dass ein Regisseur auf der Suche nach dem richtigen Stoff für ein neues Stück seines Musiktheaters darauf aufmerksam wurde: Thomas Desi brachte 2017 bei den Musiktheatertagen Wien die Uraufführung von „Tanzcafé Schweigepflicht“ mit Textauszügen aus Sonja Schiffs Buch auf die Bühne, eine „moderne Oper zum Thema Altenpflege und Altern“. Ja! Genauso funktioniert Eigensinn im Idealfall! Oder Lisa Frohn, die ein sehr eigensinniges Buch zum Thema Älterwerden geschrieben hat: „#Ran ans Alter“ – eins der besten Bücher zum Thema, das ich kenne. Solche Menschen konnte ich dann auch direkt fragen: „Seid ihr eigentlich eigensinnig? Und wenn ja, woran macht ihr das fest?“ Beide Frauen haben es bejaht. Und überzeugend begründet.
Das alles und noch viel mehr ist in „Mein Kompass ist der Eigensinn“ nachzulesen.
So schloss sich während des Schreibens eine Klammer nach der anderen: Ich blieb ich, konnte zwischen meinen Stühlen sitzen und vor allem: Meine Ideen und Visionen von einer Welt entwickeln, in der wir alle kraft unseres Eigensinns schreibend den Buchmarkt (zurück)erobern, den 08/15-Brei wenigstens teilweise aufheben, wieder von Abenteuern schreiben und lesen können. Das Allerschönste ist: Als Buchhebamme kann ich dabei helfen. Denn jetzt ist der Eigensinn meine „Marke“. Er ist der Kompass, dem ich sowohl privat wie in all meinen beruflichen Angeboten folge. Seitdem bin ich weniger wütend. Und mein Unbehagen hat sich gelegt – zumindest zeitweise.
Ein Beitrag von Maria Al-Mana zum Thema „Buchherstellung“, Schwarzaufweiss Evelyn Kuttig
Spannend, da ich gerade beginne, das Buch zu lesen… nein, in Buchhandlungen (derer gibts in meinem Umfeld sowieso nicht viele) gehe ich kaum noch rein, diese dort für mich getroffene Vorauswahl verlockt mich nicht zum Stöbern. Das tue ich eher über Erwähnungen in Blogs oder Zeitungen und am liebsten stöbere ich in Antiquariaten. Meine seit Jahrzehnten liebsten Abenteuer-Reise-Bücher sind uralt: die autobiographischen Romane von Konstantin Paustowski…
Ich bin literarisch nicht „vorgebildet, sondern einfach nur Leserin…und freue mich jetzt schon auf die Fortsetzung.
Liebe Grüsze
Mascha